Sampha: Process
Samphas weicher und zugleich so voluminöser Soulgesang war schon bei Kanye West, Drake und Frank Ocean zu hören. Doch der 27-jährige Londoner hatte seine Gründe, mit dem Solodebüt „Process“ so lange zu warten.
Samphas weicher und zugleich so voluminöser Soulgesang war schon bei Kanye West, Drake und Frank Ocean zu hören. Doch der 27-jährige Londoner hatte seine Gründe, mit dem Solodebüt so lange zu warten.
Sampha, seit mehr als fünf Jahren warten alle auf dein Debütalbum, doch du hast immer wieder andere Projekte zwischengeschoben und mit Kollegen wie SBTRKT, FKA twigs, Drake, Solange, Kanye West und zuletzt Frank Ocean gearbeitet. Brauchtest du diesen Anlauf, um zu „Process“ zu kommen?
Sampha Sisay: Manchmal haben die Kollaborationen geholfen, manchmal nicht. Natürlich ist es ein gutes Gefühl, anderen dabei zu helfen, ihre Visionen zu verwirklichen – aber es wird dann gefährlich, wenn dieses gute Gefühl so dominant ist, dass man Dinge tut, hinter denen man selbst eigentlich gar nicht mehr steht. Zusammenarbeiten fordern eine Empathie, die sehr anstrengend ist, und man sollte sich immer fragen, ob sich das lohnt. Natürlich spielt auch Eitelkeit eine Rolle, wenn ich etwa von außen nur als Gastsänger wahrgenommen werde, aber zu gleichen Teilen auch als Produzent mitgewirkt habe.
Gibt es jemanden, der dich besonders beeindruckt hat?
Sisay: Mit Kanye West zusammenzuarbeiten, war schon eine herausragende Erfahrung. Ihn umgibt eine fast schon unwirkliche Aura, aber direkt mitzubekommen, wie viel Ehrlichkeit in seiner Musik steckt und wir sehr er sich müht, bestimmte Dinge zum Ausdruck zu bringen, hat meine Herangehensweise bestärkt. Vermutlich war es auch ein Grund, warum ich mein Album „Process“ genannt habe: Musik ist für mich ein Ventil, etwas anzustoßen. In meinen Songs kann ich etwas kommunizieren, was ich als stiller und schüchterner Mensch sonst nicht rauslassen könnte.
Dann ist es auch ein Zeichen deines neues Selbstbewusstseins, dass dein Gesang auf „Process“ mehr als je zuvor im Vordergrund steht?
Sisay: Es ist ein hart erkämpftes Selbstbewusstsein. Ich habe wirklich die vielen Jahren gebraucht, um meine Stimme ertragen zu können – und trotzdem hat es meinen Koproduzenten Rodaidh McDonald noch einiges an Überzeugungsarbeit gekostet, bis wir den Gesang derart exponiert haben.
Dabei wurdest du für deinen samtweichen und zugleich sehr voluminösen Soulgesang von Anfang an mit Zuneigungsbekundungen überschüttet.
Sisay: Vermutlich liegt es gerade daran, dass ich meiner Stimme in ihrer Fragilität nicht trauen kann. Sie trägt eine Emotionalität, die sich meiner Kontrolle zu einem gewissen Maß entzieht. Und das ist vielleicht auch ein Grund, warum es mir so wichtig war, mich mit meinem Debütalbum möglichst breit aufzustellen und mich auch als Produzent und Beatbauer zu beweisen.
Der mit Abstand eindrücklichste Song der Platte ist aber wohl trotzdem die Pianoballade „No one knows me like the Piano“, in der du dich mit der Krebserkrankung deiner Mutter auseinandersetzt.
Sisay: Der Song hat sich wie von selbst geschrieben. Als bei meiner Mutter diagnostiziert wurde, dass der Krebs wieder ausgebrochen ist und keine Chance auf Heilung besteht, bin ich zurück in mein Elternhaus gezogen, um in den letzten Monaten bei ihr zu sein.
Zögerst du manchmal und hinterfragst, ob ein Song zu persönlich geraten ist, um ihn zu veröffentlichen?
Sisay: Es gibt Dinge, die zu persönlich sind, aber die würden niemals in einem Song auftauchen, weil ich meine Grenze sehr genau kenne. Wenn ich viele Kompositionen verwerfe, dann nicht, weil ich etwas verschweigen möchte, sondern weil ich bestimmte Dinge unbedingt kommunizieren möchte – aber keine Form dafür finde, die für mich akzeptabel ist. Das betrifft manchmal den Text, aber sehr viel öfter die Musik und das Zusammenspiel der beiden Elemente.
Macht es dir manchmal Angst, ohne die Musik mit dem Leben nicht fertigwerden zu können?
Sisay: Ich arbeite bewusst dagegen an. Meist tut es mir sehr gut, mich durch das Songschreiben von gewissen Dingen zu befreien. Es gibt aber auch Situationen, in denen es heilsamer ist, ein Gefühl auszusitzen. Nicht nur das Musikhören, sondern auch der kreative Prozess des Musikmachens kann sehr manipulativ sein.
In dem Song „Plastic 100°C“ singst du die Textzeile „And usually I’d run home / and took the issue under / sleeping with my worries / I didn’t really know what that lump was.“ Du thematisierst eine Geschwulst, die du schon vor Jahren in deinem Hals entdeckt hast.
Sisay: Als ich vor Jahren mit SBTRKT auf Tour war, bekam ich Fieber und hatte schreckliche Halsschmerzen. Kurz darauf fühlte ich mich wieder besser – aber dieser Kloß im Hals wollte nicht verschwinden. Lange Zeit habe ich das verdrängt, mir ging es ja gut, aber irgendwann wurde ich unruhig. Doch egal, zu welchen Arzt ich auch gegangen bin, sie konnten alle nichts finden. Möglicherweise ist es das Globussyndrom, das psychosomatische Ursachen wie Stress oder Angstzustände hat.
Ist die Musik dir eine Hilfe, mit solchen Ängsten umzugehen?
Sisay: Ich habe beide Elternteile an den Krebs verloren, mein Vater starb, als ich neun war. Das hat mich sehr geprägt. Musik ist für mich eine spirituelle Erfahrung und die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit. Nur Emotionen können dem Tod die Stirn bieten.
Funktioniert das auch in den immer größer werdenden Konzerthallen, die dich jetzt erwarten?
Sisay: Durch die vielen Konzerte mit SBTRKT weiß ich ziemlich genau, was auf mich zukommt. Ich freue mich auf die Shows, denn inzwischen habe ich gelernt, auf der Bühne genauso in der Musik zu versinken als würde ich daheim neue Songs aufnehmen. Trotzdem wird es eine große Herausforderung werden, das Album umzusetzen. Wenn aber etwas meinen Genuss schmälert, dann werden es ausschließlich technische Probleme sein.
Interview: Carsten Schrader
CHECKBRIEF
NAME Sampha Sisay KÜNSTLERNAME Sampha ALTER 27 WOHNORT London GENRE Soul, Post-Dubstep HERKUNFT Samphas Eltern sind Anfang der 80er von Sierra Leone nach London gezogen, wo Sampha als jüngster von fünf Söhnen geboren wurde WICHTIGSTE KOLLABORATIONEN auf beiden SBTRKT-Alben hat er mehrere Songs gesungen und koproduziert, mit Jessie Ware hat er die Songs „Valentine“ und „What you won’t do for Love“ eingesungen und koproduziert, auf dem Drake-Album „Nothing was the Same“ ist er mit „Too much“ und „The Motion“ vertreten, Kanye West hat er bei „The Life of Pablo“ unterstützt, vor kurzem war er auf den Alben von Frank Ocean („Alabama“) und Solange („Don’t touch my Hair“) dabei EIGENE VERÖFFENTLICHUNGEN 2010 veröffentlichte er die rein instrumentale EP „Sundanza“, 2013 folgte die EP „Dual“ AKTUELLES ALBUM „Process“ erscheint am 3. Februar LIVE 13. 3. Köln, 15. 3. Hamburg, 18. 3. Berlin