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„Nach Norden“ von Anuk Arudpragasam: Doppelte Reise

Buchcover „Nach Norden“ von Anuk Arudpragasam

Anuk Arudpragasam blickt zurück auf den Bürgerkrieg in Sri Lanka und legt mit „Nach Norden“ einen hochaktuellen und universellen Roman vor.

„Nach Norden“ von Anuk Arudpragasam ist unsere Buchempfehlung der Woche.

Der Bürgerkrieg in Sri Lanka ist erst 2009 zu Ende gegangen und hat bis zu 100 000 Opfer gefordert. Am Ende haben die Regierungstruppen den bewaffneten Aufstand der tamilischen Separatist:innen niedergeschlagen. Mal ehrlich: Wer hätte es gewusst? Die Lektüre von Anuk Arudpragasams Roman lohnt sich allein als Einblick in einen Konflikt, der hierzulande wenig thematisiert wird. Doch „Nach Norden“ ist noch viel mehr, und der Krieg auch im Roman bereits vorbei.

Für Krishan ist er trotzdem noch omnipräsent: In der Hauptstadt Colombo blieb er von der Gewalt weitgehend verschont, doch als Tamile fühlt er sich betroffen – und schuldig, weil er „nur“ seinen Vater verloren hat. Jahrelang hat Rani, deren Söhne im Krieg gestorben sind, Krishans kranke Großmutter gepflegt. Nun ist Rani tot, und Krishan reist nach Norden, ins ehemalige Kriegsgebiet, um an der Bestattung teilzunehmen. Die Zugfahrt weckt Erinnerungen, nicht nur an Rani und an seine Großmutter, sondern auch an Anjum, mit der er als Student in Delhi zusammen war und die ihn verlassen hat.

„Nach Norden“ von Anuk Arudpragasam ist hochaktuell und explizit politisch, jedoch ohne je das Menschliche aus den Augen zu verlieren.

Der Großteil des Buchs spielt sich in Krishans Kopf ab, direkte Rede fehlt fast vollständig, die Reihenfolge der Geschehnisse ist assoziativ. Dafür stürzt sich Arudpragasam mit an Obsession grenzender Detailbesessenheit ins Gedächtnis, in die Gedanken und Gefühle seines Protagonisten. Aus dem extrem Spezifischen wird so wieder das Universelle: Krishans hart erkämpfte Erkenntnisse über Tod und Trauma, über Liebe und Altern sind allgemeingültig. „Nach Norden“ ist hochaktuell und explizit politisch, jedoch ohne je das Menschliche aus den Augen zu verlieren. Ob Arudpragasam über den Stolz einer alten Dame philosophiert oder eine tamilische Bestattungszeremonie genauestens beschreibt – jeder seiner Sätze ist gleichermaßen fesselnd. Das schaffen nur die ganz großen Erzähler.

„Nach Norden“ von Anuk Arudpragasam ist unsere Buchempfehlung der Woche. Zuletzt haben wir an dieser Stelle „Phlox“ von Jochen Schmidt vorgestellt.

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