Die besten Alben 2020: Unsere Favoriten aus dem April
Es wirkt, als wäre der April schon ewig her: Wir werfen den Blick zurück auf die besten Alben des Monats – mit Brian Eno, Little Dragon, Mavi Phoenix und Everything Is Recorded.
10. Maserati: Enter the Mirror Maserati eröffnen unsere Liste der besten Alben im April 2020. Die psychedelischen Jams auf Maseratis neuer Platte „Enter the Mirror“ lassen ganz klar die Vorbilder der Band erkennen: Von Neu! bis Pink Floyd verschwimmen die satten Drums und die sphärischen Synthies mit den wuchtigen Gitarren zu einem Klangkörper, der auch genauso gut der Soundtrack der Nihilisten aus „The big Lebwoski“ sein könnte. Maserati pfeifen erfreulich abwechslungsreich auf klassische Songstrukturen – Selten hat eine Psychedelic-Platte das Blut so sehr in Wallung gebracht.
9. Midwife: Forever „Heaven Metal“ nennt Madeline Johnston alias Midwife ihre Musik, die mit von Schwaden aus Reverb umgebenen Gitarren im freien Schwebezustand die schwerwiegendsten Gefühle erkundet: Im Jahr 2018 ist Johnstons enger Freund Colin Ward überraschend verstorben. Johnston schickt vorsichtig musikalische Signale in die Stille und wagt es damit zum ersten Mal, die Leere der Trauer auszufüllen, ihr nachzuhorchen und zu versuchen, sie in ihrer vollen Komplexität zu erfassen. Neben der Trauer steht die Erinnerung, bittersüß, unendlich schwer und schwerelos zugleich. Für immer.
8. Dana Gavanski: Yesterday is gone Weniger ist mehr. Songwriterinnen wie Native Harrow oder Nadia Reid zeigen sich auf ihren jüngsten Alben derart reduziert, dass selbst der Folk Joni Mitchells überladen wirkt. Auch Dana Gavinski verzichtet auf Überflüssiges: Lieber vereint die Kanadierin schlichte Akustikgitarren-Poesie mit trendiger Vintage-Produktion. Sie liebäugelt bisweilen mehr mit smoothem Pop, findet aber immer wieder zu der verträumten Weitläufigkeit der Ladies of the Canyon. Was will der Folkfan mehr?
7. Mamaleek: Come and see Die einzige Heavy-Band in unserer Liste der besten Alben: Mamaleek brechen Black Metal von außen heraus auf, mit Querverweisen aus Jazzfusion, Avant-Blues, Postpunk und Posthardcore. Die Produktion ist diffus, die Kompositionen sind ziellos – mehr als einmal hält ein Track einfach an, um dann ganz woanders weiter zu machen –, und die Band verweigert jeglichen melodischen Anhaltspunkt. Und doch ist „Come and see“ kein steriler, technischer Selbstzweck. „Come and see“ ist anders. „Come and see“ macht süchtig. „Come and see“ tut weh.
6. Irreversible Entanglements: Who sent you? Die Welt ist ein mieser Ort, wenn man nicht zu den Privilegierten zählt. „Slaveship Punk“ nennt Camae Ayewa ihre Musik zur Zeit: Die Texte der Anführerin von Irreversible Entanglements drehen sich um Sklaverei und die Befreiung davon, aber auch um die ungeminderte Diskriminierung von Afroamerikanern in den USA der Gegenwart. Fanfarenhafte Trompeten und Saxofone ertönen zum Sprechgesang, Kontrabass und Schlagzeug spielen erdenschwere Grooves. Wenn Sun Ra sich mit Anti Flag zusammengetan hätte: Es wäre Irreversible Entanglements dabei herausgekommen. Und Platz 6 der besten Alben im April.
Die besten Alben 2020: Unsere Top 5 im April
5. Roger and Brian Eno: Mixing Colours Es ist vielleicht die größte Stärke, die Brian Eno sich in seiner über 40 Jahre langen Karriere erarbeitet hat, geduldig zu sein, ohne dafür seine Neugier oder seinen künstlerischen Drang aufzugeben. „Mixing Colours“ nahm seinen Anfang bereits vor 15 Jahren, mit MIDI-Aufnahmen, die sein Bruder Roger ihm zukommen ließ. Brian nahm sich dieser MIDI-Dateien an, hat sie rekontextualisiert und verfremdet. „Mixing Colours“ bemisst seine Räume so vorsichtig wie minutiös. Schon die kleinste Bewegung zieht weite Kreise. Platz 5 unserer Top 10 der besten Alben im April.
4. Mavi Phoenix: Boys Toys Trap-Beats samt zischender Hi-Hats, hämmernde Synthesizer, Vocal-Samples, autotuniger Gesang und Rap: Die synthetischen Sounds bildet das Fundament für zwölf Songs, in denen Mavi Phoenix die Geschichte einer Person erzählt, deren verschiedene Facetten und Eigenschaften in den einzelnen Songs betont werden. Dabei nimmt Phoenix, der als Marlene geboren wurde, seit dem letzten Jahr aber als Mann lebt, vor allem die verschiedensten Männlichkeitsnarrative unter die Lupe – erzählt aber auch von den Selbstzweifeln und Ängsten, die ihn auf der Suche nach seiner Identität begleitet haben. Dennoch beginnt das Album mit einem Statement, das sich als selbstbewusstes Motto auch durch die weitere Dramaturgie der Platte zieht: „Don’t fit in the biz but I stick to it/So hola, I’m your new misfit“.
3. Hamilton Leithauser: The Loves of your Life „The Loves of your Life“ ist Hamilton Leithausers bisher ambitioniertestes Werk. Wenn er auf seinem dritten Soloalbum Geschichten erzählt, die ihm zugetragen wurden, pendelt er mit spielerischer Leichtigkeit zwischen Rock’n’Roll, Folk, Soul und Doo-Wop, ohne dabei rückwärtsgewandt zu klingen. „Isabella“ kann nicht erwachsen werden kann, weil ihre Eltern ihre Mietkosten in Manhattan übernehmen. Der Protagonist von „Here they come“ geht ständig ins Kino, weil er es im eigenen Leben nicht aushält, und „The Stars of tomorrow“ erzählt von einer Polin, die für einen sehr wohlhabenden Mann in die USA emigriert ist und sich nach einer schrecklichen Auseinandersetzung aus der Abhängigkeit befreien kann. Setzt man diese Geschichten zusammen, erhält man ein sehr tiefenscharfes Bild von der Welt, in der wir momentan leben.
2. Little Dragon: New me, same us Diese Band verursacht Herzklopfen. Weil spätestens ihr 2011 veröffentlichtes Album „Ritual Union“ Indieherzen höher schlagen ließ. Weil die Stimme von Yukimi Nagano einfach unter die Haut geht. Und weil der von Synthies und Soul entflammte Pop Little Dragons zum atemlosen Tanzen auffordert. „New me, same us“ spielt mit den R’n’B- und Souleinflüssen der 90er Jahre, garniert mit Elektro und Synthies – TLC, Tony! Toni! Toné und Solange lassen grüßen. Da kann der Opener „Hold on“ noch so unscheinbar heranschleichen – der erste Beat ist komplett auf den Punkt! Mit Schlagzeug, Bass, Keyboards, Gitarre und sogar Harfe reichern Little Dragon einen universell tanzbaren Sound an, der die Ohren umschmeichelt und die Beine fordert – Herzklopfen gibt es so ganz umsonst.
Unser Album des Monats
1. Everything Is Recorded: Friday forever Als Chef des Londoner Indielabels XL Recordings kennt sich Richard Russell mit guter Musik aus: King Krule, Ibeyi, Radiohead und Adele sind nur einige der Künstler*innen, die ihre Platten über das Label des Briten veröffentlichen. Ähnlich eklektisch und vielfältig wie die Musik, die sich hinter diesen Namen verbergen, sind auch die Songs, die Russell selbst mit der Unterstützung zahlreicher Musiker*innen veröffentlicht. Bereits 2018 erschien mit dem selbstbetitelten „Everything is Recorded“ eine feinfühlig aufeinander abgestimmte Sammlung von Songs, zu denen Russell die Beats und Arrangements beisteuerte und den Rest so prominenten Kolleg*innen wie Sampha, Ibeyi oder Syd überließ. Auch auf Album Nummer zwei bleibt der Brite dem Modell treu, setzt jedoch vermehrt auf noch unbekannte Acts wie die britischen Rapper*innen Aitch, FLOHIO Berwyn Dubois, die irische Singer/Songwriter*innen Kean Kavanagh und Maria Sommerville sowie Ghostface-Killah-Sprößling Infinite Coles, der von allen Gästen am häufigsten auf der Platte zu hören ist. Durch die Auswahl der Kollaborateure auf dem Album könnte der Eindruck entstehen, dass es sich bei „Friday forever“ primär um ein Rapalbum handelt. Und tatsächlich stehen auf der ersten Albumhälfte vor allem die beigesteuerten Rap-Parts im Fokus, jedoch brechen die an die reduzierten Elektro-, House- und Garagetracks der späten 90er- und frühen 00er-Jahre erinnernden Beats und Arrangements Russells fast durchgängig mit den gegenwärtigen Boom-Bap- und Trap-Konventionen. Auf der zweiten Hälfte des Albums verschiebt sich der Fokus langsam in Richtung Soul, was vor allem daran liegt, dass Russell den Gesangsparts seiner Kollaborateur*innen mehr Platz einräumt. Die Verschiebung des stilistischen Schwerpunkts wirkt sich jedoch vor allem auf die Dramaturgie des Albums aus: Den Stücken wird nach und nach das Tempo entzogen, die Arrangements werden reduzierter, die einzelnen Klänge länger gehalten. Vielleicht ist „Friday forever“ gerade deshalb so ein spannendes Album, weil es sich mit jedem Song als Ganzes entwickelt und nie bloß als Verkettung einzelner Klangmomente. „Temporal, yet eternal“, heißt es zu Beginn des letzten Track „Circles“, der mit seinem feinen Streicharrangement noch kurz vor dem Ende einen Moment des Innehaltens bietet. Vielleicht zeichnet Russell damit das Klangerlebnis seines Albums selbst am treffendsten nach. „Friday forever“ führt die besten Alben des Jahres 2020 an – und ist unser Lieblingsalbum im April.