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Esskulturen – oder warum Essen auch Kultur ist

Essenskultur
(Foto: stock.adobe.com © Mirko)

Wenn von Kultur die Sprache ist, denkt niemand zuerst an Essen. Dabei hängen diese beiden Dinge untrennbar zusammen, wie bereits der Begriff „Esskultur“ vermuten lässt.

Es gibt Kultur, die entwickelt sich unbewusst, sozusagen vollautomatisch und ohne gezielt gesteuert zu werden. Es handelt sich um den Zeitgeist einer Gesellschaft oder auch einer Epoche. Gleichermaßen gibt es Kultur, die einem (kreativen) Schaffensprozess entspringt und somit bewusst gestaltet wird. Demnach bedeutet Kultur auch eine Umgestaltung der Form eines gegebenen Materials. Die Essenszubereitung wird hierfür gerne als Beispiel angeführt. Schnell wird somit klar, dass eben nicht nur Musik, Sprache & Co als Kulturgüter zu verstehen sind, sondern auch das Essen im eigentlichen Sinne. Dabei geht es einerseits darum, was gegessen wird und in welcher Zubereitungsform, andererseits aber auch darum, wie gegessen wird – zum Beispiel gemeinsam oder alleine, mit oder ohne Besteck, am Tisch oder auf dem Boden, etc.

Essen ist Kultur und Essen hat Kultur

Unterm Strich, ist das Essen also irgendwie beides: Es ist eine unbewusste und bewusste Form der Kultur, welche sich in jeder Gesellschaft über viele Jahrhunderte hinweg entwickelt hat. Zugleich hat jede Kultur wiederum ihre eigene Essenskultur. Während beispielsweise in einigen asiatischen Kulturen bevorzugt auf dem Boden und mit Stäbchen gegessen wird, ist es hierzulande üblich, am Tisch und mit Besteck zu speisen. Zumindest war es das lange Zeit, denn aktuell lässt sich ein Wandel der Esskulturen beobachten. Ja, auch das Essen der Pizza mit den Händen auf dem Sofa vor dem Fernseher ist eine gewisse Form der Esskultur – um ein anschauliches Beispiel zu nennen. Es ist daher durchaus interessant, sich einmal mit Esskulturen im Allgemeinen auseinanderzusetzen und wichtige Fragen zu stellen, wie:

Wie hat sich die Esskultur entwickelt?

Vor langer, langer Zeit diente das Essen in erster Linie biologischen Zwecken. Es ging darum, dem Körper alle notwendigen Nährstoffe zuzuführen, um überleben zu können. Punkt. Doch schnell hat sich rund um die Ernährung auch ein sozialer Kontext entwickelt. Die Art der Speisen wurde vielfältiger, die Zubereitung ausgefeilter und auch das Essen selbst zu einem immer komplexeren Prozess. Das Zusammensein der Gesellschaft, einst des kleinen Naturvolkes, später der (Groß-) Familie, rückte dabei zunehmend in den Vordergrund. Im Laufe der Jahre differenzierten sich die Esskulturen zudem immer mehr. Plötzlich gab es das Essen der Reichen und jenes der Armen, welches sich nicht nur in seinen Lebensmitteln und ihrer Zubereitung, sondern auch in der Art zu speisen unterschied. Weiterhin diversifizierten sich die Esskulturen nicht nur je nach gesellschaftlicher Schicht, sondern auch je nach Region. Wie bereits erwähnt, sieht die Esskultur bis heute in asiatischen Ländern ganz anders aus als jene in Deutschland – und ebenso jene in afrikanischen oder sogar anderen europäischen Ländern. Selbst innerhalb eines Landes, lässt sich je nach Region bei genauem Hinsehen eine ganz eigene Esskultur erkennen.

Welche gesellschaftliche Bedeutung hat das Essen?

Ebenso, wie jede Region ihren eigenen Dialekt und damit ihre eigene Sprachkultur hat, gilt das also auch für die Esskultur. Heutzutage hat das Essen somit eine essentielle gesellschaftliche Bedeutung und geht weit über die biologischen Aspekte der Nahrungsaufnahme hinaus. Zwar geht es immer noch darum, den Körper mit allen benötigten Nährstoffen zu versorgen. Tatsächlich lässt sich derzeit sogar beobachten, dass das Bewusstsein der westlichen Gesellschaft diesbezüglich wieder zunimmt. Doch dazu später mehr. Unterm Strich, ist mittlerweile aber in den meisten Kulturen die soziale Bedeutung des Essens in den Vordergrund gerückt. Als Kulturgut erfüllt das Essen schon seit langer Zeit und auch gegenwärtig demnach noch einen weiteren Zweck, und zwar soziale Gemeinschaften zu formen und zu festigen.

Wie wird hier und heute gegessen?

Interessant ist, dass die Esskulturen zwar nicht an Bedeutung verlieren, aber einer stetigen Veränderung unterworfen sind. Sie sind somit weniger starr als viele andere Kulturgüter wie die Sprache. Stattdessen schreiten diese Entwicklungen so schnell voran, dass jeder sie bewusst verfolgen und ein Stück weit sogar selbst steuern kann. Im kleinsten Sinne gedacht, hat nämlich sogar jeder Haushalt und jeder einzelne Mensch eine eigene Esskultur. Wenn hier plötzlich Sushi auf den Tisch kommt oder die Pizza eben doch vor dem Fernseher verspeist wird, bedeutet das eine erhebliche Veränderung im Mikrokosmos der Esskulturen – zumindest im Vergleich zur „eigentlichen“ Esskultur, die hierzulande vorherrscht oder lange Zeit vorgeherrscht hat.

Welche Speisen prägen die Esskulturen?

Foto: stock.adobe.com © HLPhoto

Auf den Punkt gebracht, ist der Mensch ein „Allesfresser“. Heutzutage hat diese Ernährungsweise aber auch einen anderen, wohlklingenderen Namen: Wir sind Mischköstler. Zumindest die meisten von uns. Das bedeutet, dass seit jeher sowohl tierische als auch pflanzliche Lebensmittel auf dem Teller landen. Während Fleisch aber lange Zeit zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln gehörte, ist es mittlerweile eher zu einem Luxusgut herangewachsen. In vielen Kulturen werden Fleisch oder auch Fisch daher bevorzugt zu besonderen Anlässen serviert, zum Beispiel als Sonntagsbraten oder Hochzeitsmenü. Gleichzeitig gibt es immer mehr Menschen, welche sich bewusst von tierischen Lebensmitteln distanzieren – was aus unterschiedlichen Gründen resultieren kann. Es sagt demnach zwar viel über eine (Ess-) Kultur aus, welche Speisen bei besonderen Anlässen oder den „Reichen“ serviert werden. Aber ebenso aussagekräftig ist, was im Alltag oder bei kleinerem Budget gegessen wird.

Gibt es auch eine „Trinkkultur“?

Ja, tatsächlich gibt es auch eine Form der Trinkkultur, denn es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Speisen und den dazu kredenzten Getränken. Ebenso, wie das Fleisch beim Essen, gilt der Wein unter den Getränken als kultureller Höhepunkt. Das ist zumindest in Deutschland der Fall. Unterschieden wird dabei zwischen verschiedenen Qualitäten von Standard bis hin zu ausgewählten Selektionen. Während also unter der Woche eher günstige Weine oder alternative Getränke wie Bier serviert werden, welches natürlich ebenfalls fest in der deutschen Kultur verankert ist, landen zu besonderen Anlässen die teuren Tropfen auf dem Tisch. Hier kommen bereits in der Semantik die kulturellen Unterschiede zum Ausdruck, denn jedes Land hat seine eigenen Gütesiegel. In Deutschland lauten diese zum Beispiel Qualitätswein mit Prädikat oder Prädikatswein. Demgegenüber dient in Italien, Spanien und Portugal der Begriff Riserva beziehungsweise Reserva als Qualitätsmerkmal. Doch es kommt nicht nur darauf an, was getrunken wird: Wird vor, während oder nach dem Essen getrunken? Mit der Familie oder in großer Gesellschaft? Zu welchen Anlässen? Und welche Art von (alkoholischem) Getränk? Auch hier ist vor allem ausschlaggebend, was sozusagen im Alltag von der breiten Masse getrunken wird und weniger bei einem besonderen Anlass oder überdurchschnittlichen Budget. Vorherrschend sind in diesem Bereich die „typischen“ Getränke der Region, ebenso wie Speisen – das also, was die Natur offeriert.

Welche aktuellen Entwicklungen gibt es?

Zumindest war das lange Zeit so. Denn die Menschen waren auf das angewiesen, was in ihrer Region angeboten wurde. Je nach Klimazone, Höhenlage & Co gibt es demnach regionale Unterschiede, die aus natürlichen Faktoren resultieren. Allerdings ändert sich das derzeit durch die Globalisierung. Denn plötzlich sind sämtliche Lebensmittel quasi überall auf der Welt verfügbar. Damit beginnen sich die Esskulturen zu mischen, wie beim bereits erwähnten Beispiel Sushi. Und noch ein weiterer Trend lässt sich beobachten: Die Ernährungsformen wandeln sich und mit ihnen auch die Auffassung der Speisen und Getränke, welche lange Zeit als Höhepunkt der jeweiligen Esskultur galten. Immer mehr Menschen verzichten beispielsweise auf tierische Lebensmittel oder auf Alkohol und dementsprechend auch auf die „Klassiker“ auf dem Speiseplan, nämlich Fleisch und Wein. Sie ernähren sich somit nicht mehr klassisch als Mischköstler, sondern zum Beispiel rein pflanzlich als Veganer. Es lässt sich somit beobachten, dass Esskulturen immer vielfältiger werden. Die gestiegene Anzahl an Möglichkeiten führt zu einer Individualisierung, sprich die Menschen orientieren sich weniger an der gesellschaftlichen Esskultur und etablieren vermehrt ihre ganz eigene Kultur beim Essen.

Inwiefern war und ist das Essen politisch?

Foto: stock.adobe.com © freeograph

Mit den „Reichen“ ist vorhin ein weiteres wichtiges Stichwort gefallen. Wie bereits erwähnt, wurde bei der Esskultur nämlich lange Zeit zwischen gesellschaftlichen Schichten unterschieden. Dies war schlichtweg den unterschiedlichen finanziellen Verhältnissen geschuldet. Nicht jeder kann sich schließlich edlen Wein oder teures Fleisch leisten. In gewisser Weise, war die Esskultur daher seit jeher politisch – und daran hat sich bis heute nichts geändert. Nach wie vor steht nämlich häufig in der Kritik, dass gesundes und hochwertiges Essen ein Luxusgut sei, das sich vor allem ärmere Familien auch in Deutschland nicht leisten könnten. Genau genommen, ist die Esskultur heutzutage also noch ebenso politisch wie in der Vergangenheit und wird das vermutlich auch in der Zukunft bleiben.

Welche Rolle werden Esskulturen in Zukunft (noch) spielen?

Dieser ist aber nicht der einzige Aspekt, welcher sich hinsichtlich der Esskulturen vermutlich niemals ändern wird. Weiterhin wird das Essen stets eine soziale Komponente behalten und damit jede Gesellschaft, jede Familie und jedes Individuum prägen. Ob jemand mit Besteck isst oder ohne, alleine oder mit Freunden, am Tisch oder vor dem Fernseher – all das ist und bleibt eine gewisse Esskultur. Sie wird also voraussichtlich auch weiterhin schnellen sowie regelmäßigen und individuellen Veränderungen unterworfen sein. Der grundlegende Zusammenhang zwischen dem Essen und der Kultur wird aber stets bestehen bleiben. Wer zukünftig über Kultur spricht, sollte daher auch das Essen nicht vergessen.

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