Zum Inhalt springen

Herrschaftliches Unwesen, inspiriert von einem herrschaftlichen Anwesen

Das irische Noise-Quartett Gilla Band geht dahin, wo es wehtut.

„Befreundete Bands aus unserem Umfeld haben vor 30, 40 Leuten gespielt – also hatten wir uns auf eine ähnliche Resonanz eingestellt“, erinnert sich Alan Duggan. Der Gitarrist der Dubliner Formation Gilla Band kann noch immer kaum glauben, was ihnen vor vier Jahren mit dem Debütalbum widerfahren ist: Obwohl sie auf „Holding Hands with Jamie“ keinerlei Zugeständnisse machen, landete das mit Dissonanzen und Sperrigkeit an den Nerven zerrende Album in allen maßgeblichen Kritikercharts, und Gilla Band wurden plötzlich von den Festivalmachern gejagt.

Ein nicht unwesentlicher Grund für all die Aufregung war natürlich Sänger Dara Kiely, der mit seinen kryptisch-düsteren Texten mal schreiend, stöhnend und jaulend, mal mit monotonem Sprechgesang den Lärm flankiert. Hatte er in Interviews zur Platte sehr offen über psychische Probleme und seine Depressionen gesprochen, so war wenige Monate nach der Veröffentlichung auch ganz plötzlich erst mal Schluss: Aus gesundheitlichen Gründen sagte die Band alle Konzerte ab und zog sich komplett aus der Öffentlichkeit zurück.

„Die lange Auszeit hat uns von jeglichen Druck befreit, da niemand mehr mit uns gerechnet hat“, gibt Duggan der traurigen Geschichte eine positive Wendung. Über mehrere Ecken haben Gilla Band die Chance bekommen, die zweite Platte an einem Ort aufzunehmen, der den größtmöglichen Gegensatz zu ihrem Sound bildet: Das Ballintubbert House ist ein feudales Anwesen außerhalb von Dublin, das Paare für ihre Hochzeitsfeier anmieten. Mehrere Wochen lang haben die vier Musiker das Herrenhaus mit Unmengen an Equipment in Beschlag genommen, um ihre Soundexperimente durchzuführen.

Gilla Band: „The Talkies“

Herausgekommen ist ein Album, dessen Brachialität an Ganzkörpererfahrungen à la Swans und Sunn O))) erinnert und sich mit Genreklassikern wie „The downward Spiral“ von Nine Inch Nails messen kann. „The Talkies“ beginnt mit dem unruhigen, sich zu einer Panikattacke steigernden Atmen von Dara Kiely im Opener „Prolix“ und endet mit den etwas entspannteren Atemgeräuschen von „Ereignis“. Dazwischen liegen Songs wie „Going Norway“ oder „Shoulderblades“, die inmitten brachialer Klanglandschaften immer wieder melodiöse Haltegriffe anbieten. „Aibophobia“ haben sie in Twin-Peaks-Manier rückwärts eingespielt, und in „Prefab Castle“ sind die knarzenden Türen des Herrenhauses, der Kühlschrank und der Laubbläser im Garten zu hören.

So euphorisch Duggan wegen der Platte auch ist: Jetzt passt die Band auf sich auf. „Es sind jetzt etwa ein Dutzend Shows gebucht, auf die wir uns sehr freuen, aber dann ist mit dem Touren wieder Schluss“, sagt er. „Schließlich müssen wir uns auch umschauen, ob uns nicht weitere Gebäude angeboten werden.“

Update Juli 2022: Die Gilla Band war bis Ende 2021 unter dem Namen „Girl Band“ bekannt, änderte ihren Namen jedoch wegen „misgendering“.

Beitrag teilen: