Musik macht’s möglich
Trotz Lockdowns und Reiseverboten: Das letzte Jahr hat viele Wege geboten, eigentlich unmögliche Dinge zu tun. Hier erzählen wir, wie wir trotz allem …
… fremdgeknutscht haben.
Wer bis letzten März die große Liebe nicht gefunden oder auch gar nicht nach ihr gesucht hatte – der musste und wird noch eine ganze Weile ohne fremde Körperflüssigkeit leben. Was den Paarmenschen jetzt gar nicht das gute Leben zuschreiben soll, denn auch da fehlt ja der häufig nicht ganz unwichtige Abgleich. Doch so hässlich das alles auch ist, wir haben ja die Musik: Mit den seit Lockdown eins erschienenen Platten von Perfume Genius, Phoebe Bridgers und Adrianne Lenker werde ich mich auch noch bis Lockdown zwölfeinhalb nicht völlig ungeknutscht fühlen. Musikalisch lasse ich da keinen Widerspruch gelten, und textlich … Klar, Adrianne Lenker verarbeitet mit „songs + instrumentals“ eine Trennung, bei Perfume Genius ist Sex immer an Selbstzerfleischung gekoppelt, und mit Phoebe Bridgers lacht man immer erst dann, wenn man schon längst über den Abgrund hinaus ist. Aber wer erwartbar und mit vorab drapiertem Eisbärfell knutschen will: Schon Ende Januar erscheint ein neues Album von Rhye. Außerdem ist Ravel sicher auch bei Spotify. cs
… ausgerissen sind.
Auch im Jahr der gestrichenen Flüge hat sich ein Trend fortgesetzt: Musikalische Grenzen zwischen Ländern verschwinden. Die meisten Streams 2020 gingen nicht wie im Vorjahr an Ed Sheeran, sondern an den puerto-ricanischen Reggaetonstar Bad Bunny. Den Sommerhit des Jahres hat die koreanische Boygroup BTS mit „Dynamite“ gelandet, und der beste Rap kam mit Tkay Maidza aus Australien. Für einen Tapetenwechsel braucht es also nur einen Plattenspieler oder einen Spotify-Account. Dann kann man sich mit HAIMs Hollywoodplatte „Women in Music Pt. III“ ebenso mühelos ins sonnige L.A. träumen wie auf den Spuren von Haiyti mit dem Bentley durch „Toulouse“ cruisen. Und für eine Weltreise in 60 Minuten hört man einfach noch einmal das Gorillaz-Album „Strange Timez“, auf dem Damon Albarn Künstler*innen aus Großbritannien, den USA, Südafrika, Frankreich, Mali, Nigeria und Japan versammelt hat. mj
… auf Konzerte gegangen sind.
Das Jahr 2020 hat Bands wie Konzertgänger*innen hart gebeutelt. Dass der Sommer ohne Festivals stattfinden musste, schmerzt noch immer. Doch zumindest die Atmosphäre und die Energie lassen sich mit den Livealben aus diesem Jahr noch in tiefen Atemzügen inhalieren. Und besonders in Sachen Atmosphäre sind The War On Drugs Experten. Auf dem ersten Konzertalbum der Band entfalten die psychedelischen Songs ihren Charme mehr denn je, und mit Aufnahmen aus zwei Jahrzehnten liefern Adam Granduciel und seine Mitstreiter gleich noch ihre eigene Bandchronologie mit. Bei den Arctic Monkeys gilt auch auf dem zweiten Livealbum: „Dancing Shoes“ an und los geht’s! Gerade bei den älteren Songs klingt die Band angenehm gereift, die Energie entspricht aber noch immer dem Rock’n’Roll-Spirit der ersten Tage. Wer es intimer mag, greift lieber zu Nick Caves Solonummer im Alexandria Palace, bei der er seine Songs in minimalistischen Arrangements zum Klingen bringt. Und Jazzfans können mit Nubya Garcias ekstatischem Auftritt beim Tiny Desk die Zeit überbrücken, bis man auch abseits vom Computerbildschirm wieder zu den Stücken der Saxofonistin tanzen kann. sg