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Konstantin Wecker: „Wenn Waffen Gedichten erliegen“

Konstantin Wecker hat für sein Album „Utopia“ wunderschöne neue Lieder eingespielt. Doch zwei alte Songs passen politisch in die Zeit.

Konstantin Wecker, auch auf Ihrem neuen Album „Utopia“ hinterfragen Sie sich als Person wieder und erzählen davon, wie Sie versuchen, sich neu zu erfinden. Doch das ist nur das eine, politisch sind Sie wie eh und je unterwegs. Was brennt Ihnen aktuell besonders auf der Seele?
Konstantin Wecker: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die europäische Idee eine tolle Idee ist. Was aber zur Zeit mit den Flüchtlingen getrieben wird, ist eine himmelschreiende Katastrophe. Außerdem – und das wäre das zweite Thema – muss sich Europa wieder besinnen auf „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“. Ich lese gerade wieder Umberto Ecos Aufsatz „Der ewige Faschismus“ – das ist ein Vortrag, den er vor 20 Jahren gehalten hat. Die Gefahr, dass in solchen verunsichernden Zeiten wie den unseren wieder Mythen geboren werden, ist sehr groß – man merkt es überall. Der Faschismus kann sich ja nur über Mythen halten, weil man Mythen mit Vernunft nicht beikommen kann.

Sie lehnen alle Ideologien ab, auch linke. Aber wie genau die Diskussion um Corona zeigt, fehlen in unserem aktuellen gesellschaftlichen Diskurs Grundstandards des Humanismus: Solidarität mit den Alten, den Schwachen, mit den Pflegenden.
Konstantin Wecker: Wenn die Tochter von Herrn Tandler (früherer Innenminister Bayerns, d. Red.) 68 Millionen Euro verdient mit Masken, ist das so unfassbar, dass mir … (der Rest geht im Lachen unter) Aber zur Solidarität möchte ich einen kleinen Einspruch erheben. Im März 2020 sagte die Bundesregierung ja noch, dass Masken nicht wirklich notwendig seien. Der Grund war einfach: Es gab keine. Dann haben sehr viele Menschen, zum Beispiel auch meine Mitarbeiterin Michaela, Masken genäht. Umsonst. Damals waren so viele Menschen solidarisch, und ich sehe diese Solidarität immer noch, auch wenn natürlich stimmt, was Sie sagen. Wir haben erst im März eine Demo mit der Organisation Break Isolation in München durchgeführt, weil ich viele Leute kenne, deren Eltern einsam und vereinsamt in Pflegeeinrichtungen gestorben sind, ohne dass sie noch mal Besuch hätten empfangen können. Da ist ganz viel falsch gemacht worden.

Aktuell müssen Sie sich auf Facebook mit Corona-Mythen auseinandersetzen. Es gibt auch Anhänger in Ihrer Timeline, denen genau diese Grundstandards des Humanismus fehlen. Man identifiziert sich da ohne Scham mit Sophie Scholl.
Konstantin Wecker: Was die Geschichte auf den Kopf stellt. Das ist so unfassbar, dass ich kaum Worte dafür finde. Vorgestern habe ich zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl noch einmal „Die weiße Rose“ gepostet und auch einen Text dazu geschrieben. Immer wieder – auch in meinem Publikum – kommt die Frage, warum ich denn nicht bei den Querdenkern dabei sei. Ich kenne ja auch ein paar von denen – Sie werden sicher auch welche kennen –, denn selbst im freundschaftlichen Umfeld hat sich seit Beginn der Pandemie ja einiges getan. Da muss man einfach das Maul aufmachen. Ich habe jetzt auch ein Buch geschrieben: „Poesie und Widerstand in stürmischen Zeiten“, da ist diesem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet.

Apropos Maul aufmachen. Der wievielte „Willy“ ist das eigentlich, den Sie jetzt erneut in Studioeinspielung veröffentlichen?
Konstantin Wecker: Ich hab’s nicht mitgezählt. Es müssten über zehn sein.

„Willy“ ist seit den 1970ern das sinnlichste und emotionalste Statement gegen den Faschismus, das ich kenne. Wie passt dieses Lied in die heutige Zeit?
Konstantin Wecker: (etwas kokett) Da müssen Sie mich grundsätzlich fragen, wie meine Lieder überhaupt in die heutige Zeit passen. Ich möchte ein kleines Beispiel geben. Auf der CD ist ja ein weiteres Lied, das einzige, das nicht neu ist.

Ja, „Das wird eine schöne Zeit“ von 1982. Dazu habe ich nachher noch eine Frage.
Konstantin Wecker: Genau, das meine ich. Alle anderen Lieder sind neu entstanden. Dieses Lied habe ich einerseits mit auf das Album genommen, weil es inhaltlich sehr gut passt, vor allem aber, weil ich die Partitur wiedergefunden habe, die ich in den frühen 80ern geschrieben hatte. Wir hatten ja damals das Studio in der Toskana frisch gebaut, und da besuchten mich dauernd Musiker, und jeder, der kam, musste sofort sein Instrument auspacken und wurde in die Aufnahme eingebaut. Damals schrieb ich die Partituren immer nach den Personen, die gerade da waren, damit sie mitspielen konnten. So kam ein Kammerorchester zustande, und das in einer Zeit, da der Punk in Deutschland groß war. Mit einem Kammerorchester bin ich dann auch auf Tour gegangen, und ich glaube noch immer, dass mein Publikum damals nicht wegen meiner Musik, sondern trotz meiner Musik zu mir kam. Schon damals habe ich musikalisch etwas gemacht, was den meisten meines Publikums eher etwas fremd war.

Das lag an Ihrer Sozialisation.
Konstantin Wecker: Das ist meine Musik. Ich bin groß geworden mit meinem Papa, der Opernsänger war, ich bin mit klassischer Musik groß geworden, ich bin mir Verdi, Puccini, Mozart groß geworden. Mein Liedermacherziehvater ist viel eher Franz Schubert als Bob Dylan. Nichts gegen Bob Dylan! Aber das ist meine musikalische Herkunft, und der bin ich bis heute treu geblieben. So richtig in die Zeit gepasst hat das aber eigentlich nie.

Jetzt muss ich aber noch mal auf den „Willy“ zurückkommen. Im Mittelpunkt der neuen Version steht Vili Viorel Păun, einer der neun von einem Rassisten 2020 in Hanau erschossenen Menschen. Sie wollen damit aufzeigen, dass all das, was in den 1970ern an rassistischen und faschistischen Tendenzen da war, heute noch vorhanden ist.
Konstantin Wecker: Brutaler als damals!

Glauben Sie, mit einem solchen Statement etwas verändern zu können? Oder ist es einfach nur der Aufschrei eines Verzweifelten?
Konstantin Wecker: Es ist auch ein Aufschrei, das war auch der erste „Willy“. Damals war ich ja noch bei einer großen Plattenfirma, der Polydor. Die waren alle skeptisch, ob das Lied mit auf die Platte soll. Ich selbst hab mir gedacht, das ist so privat, das interessiert keinen. Nur um dann festzustellen, dass dieses Lied damals in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre ja sogar im Rundfunk gespielt wurde, obwohl es bayerisch war und zu lang und musikalisch als Talking Blues auch nicht in den Sound der Zeit passte.

Und warum zu persönlich für eine Veröffentlichung?
Konstantin Wecker: Na ja, ich präsentiere in einem Talking Blues meine Wut und erzähle in sehr einfachen Worten – es ist ja auch nie eine große Poesie bei den „Willy“-Versionen vorhanden, und das braucht es auch nicht –, ich erzähle in einfachen Worten, was mich ärgert. Das ist bis heute so geblieben. Was interessant ist: Zwölf Jahre ist es jetzt her, dass ich „Wut und Zärtlichkeit“ geschrieben habe. Da hat mich auch wieder, wie so oft, ein Lied über mich persönlich aufgeklärt. Denn bis dahin hatte ich gedacht, dass man sich, je älter man wird, um die Liebe kümmern muss und um die Zärtlichkeit. Und vielleicht ist Wut im Alter gar nicht mehr angebracht. Da aber wurde mir klar, dass es sehr wichtig ist, weiterhin Wut zu entwickeln, um auf Missstände aufmerksam zu machen, und auch, um sich freizumachen. Eines ist entscheidend, und das habe ich gelernt in den letzten Jahren: Handeln sollte man nicht aus Wut.

„Willy“ ist auf dem Album „Genug ist nicht genug“ erschienen, ihrer ersten explizit politischen Platte. Was war der Anstoß dafür, wirklich politisch zu werden?
Konstantin Wecker: Das weiß ich nicht. Ich habe nur ein einziges Mal ein Lied ganz bewusst geschrieben, und das war vor über 20 Jahren „Sage nein!“. Als damals die Flüchtlingsheime gebrannt haben, habe ich dieses Zitat von Wolfgang Borchert bewusst verwendet. Aber auch der allererste „Willy“ ist passiert, und ich weiß sogar noch genau, wo. Ich habe mit meinen Musikern geprobt, und wir hatten eine Pause. Im Nebenraum stand ein altes Klavier, und in der Pause habe ich mich für eine halbe Stunde dort rübergesetzt und vor mich hin gespielt. Und dann war der „Willy“ da. Ich habe ihn dann den anderen vorgespielt und noch gesagt, dass das wohl niemanden so wirklich interessieren wird, weil es sehr privat ist. An ihren Reaktionen habe ich aber gemerkt, dass das Lied schon etwas aufwühlen kann. Und um auf Ihre Frage zu kommen: Ich habe mir nicht vorgenommen, ein politisches Lied zu schreiben.

Es ist trotzdem geschehen, und das Lied hat einen zentralen Satz über den Mörder von Willy, der sinngemäß in etwa so lautet: Wenn einer immer nur getreten wird, tritt er irgendwann zurück. Auf Ihrem neuen Album fordern Sie zum wiederholten Mal eine herrschaftsfreie Gesellschaft ohne Demütigung der Menschen, Sie fordern ein menschenwürdiges Grundeinkommen. Ihre Utopie ist kein Land, sondern die ganze Welt, Sie denken also international, was politisch ein sehr wichtiges Statement ist. Woher nehmen Sie ihren naiven Mut für solche Forderungen?
Konstantin Wecker: Das ist eine sehr schöne Frage, und das Wort „naiv“ ist auch sehr richtig. Ich glaube, dass dieser Gedanke der Utopie von „Utopia“, der Gedanke von der herrschaftsfreien Welt ein grundanarchischer Gedanke ist. Wenn ich politisch anzusiedeln war, stand ich immer der Anarchie nahe, heute noch näher als früher. „Anarchie“ ist ja ein großes Schimpfwort geworden in den letzten Jahrzehnten, im letzten Jahrhundert sogar schon. Aber eigentlich heißt es nichts anderes als eine Ordnung ohne Herrschaft. Aber durchaus eine Ordnung! Anarchie ist nicht einfach nur Chaos, sondern eine Ordnung. Eine, die sich Menschen aber selbst auferlegen. Ich denke immer an die schöne Idee, erst mal an die indigenen Gesellschaften, da gab es das in den verschiedenen Matriarchaten, das herrschaftsfreie Zusammenleben immer noch bei den nomadischen Völkern in Afrika. Was sich aber in den letzten tausenden Jahren herausbildete, ist ein Patriarchat, das zu 99 Prozent immer Herrscher hatte, die irgendwann sagten: Der Mensch ist so schlecht, er muss beherrscht werden. Und wenn Sie „naiv“ sagen, dann ist das etwas, das uns in den letzten Jahrzehnten der Neoliberalismus immer mehr einredet: Der Mensch sei schlecht, und deshalb brauche er jemanden, der ihn beherrscht. Und wer dem nicht zustimmt, wird als naiv beschimpft.

Was halten Sie dem entgegen?
Konstantin Wecker: Ich gehe völlig anderes aus. Ich bin wie mein leider verstorbene Freund, der große jüdische Psychologe Arno Gruen, der immer der Meinung war, dass der Mensch von Grund auf ein empathisches Wesen ist, ein gutes Wesen. Er wird verbildet, von der Kindheit an schon. Und natürlich wird uns immer eingeredet, dass diese Anschauung naiv sei. Wenn man denkt, der Mensch sei von Grund auf ein gutes Wesen, dann hört man, das sei naiv. Meinetwegen! Sollen sie mich naiv nennen. Ich hab auch in einem Lied geschrieben, sollen sie mich Träumer, Spinner nennen, es ist mir egal! Die Kunst hat die Aufgabe, genau diese Idee weiterzutragen, und das tut sie seit Jahrtausenden. Wann immer ich Dostojewski gelesen habe, wurde ich – leider nur kurzfristig – zu einem besseren Menschen. In der ganzen Weltliteratur findet sich immer wieder dieser Grundgedanke eines liebevollen, herrschaftsfreien Zusammenseins. Das muss nicht immer Anarchie heißen, aber es ist in der ganzen Poesie immer wieder zu Hause, es ist ein Grundwesen der Kunst, diese Idee weiterzutragen.

Sie beschwören in ihren aktuellen Liedern das „andere Sein“, das schon in jedem Menschen steckt, es geht um das Sich selbst Entdecken, es geht darum, nicht etwa zu lieben, sondern die Liebe zu sein, und nicht zuletzt geht es Ihnen um den Eigensinn, den Sie nicht nur im menschlichen Individuum sehen, sondern auch in den Tieren. Im Grunde geht es Ihnen um das Wachsen der Seele, ich nehme mal das Wort der Einfachheit halber. Welche Lehre liegt dem zugrunde?
Konstantin Wecker: Meine Lehrerin ist die Poesie, schon immer gewesen. Das Lied „Es wird eine schöne Zeit“ zum Beispiel ist entstanden in einer Zeit, wo es mir dann auch irgendwo so gar nicht gut ging.

Haben die „Kellerszenen“ dieses Liedes ganz versteckt auch Ihre damalige Drogenabhängigkeit mit drin?
Konstantin Wecker: Sicher, aber das ist nicht bewusst passiert. Im Nachhinein muss ich jedoch sagen: Ja. Ich habe damals Dinge geschrieben, ich habe zum Beispiel ein Lied geschrieben, wo ich eigentlich in einer Psychiatrie bin: „Manchmal weine ich sehr“. Ich wollte das gar nicht veröffentlichen, aber ich musste es ja veröffentlichen, weil ich es geschrieben hatte und weil es auch ein guter Text war. Aber es war eine Zeit, wo ich eigentlich in eine Psychiatrie gehört hätte. Im Lied war ich drin. (lacht) Es gab schon vieles, was ich geschrieben habe, was mir durchaus voraus war. „Meine Lieder waren meistens klüger als ich“, sage ich gerne lachend auf der Bühne. Und das ist bis heute so. Ich freue mich doch sehr, dass ich mich mit den neuen Liedern, die alle im Laufe des Jahres 2020 entstanden sind, sehr mit dem Altern auseinandergesetzt habe. Das freut mich, denn man tut es mit der Ratio nicht so gern. Man versucht ja immer, jünger zu bleiben, als man ist. Das ist ein Wesen unser Gesellschaft. Und es freut mich, dass mich die Poesie darauf aufmerksam macht, dass da doch etwas ist.

Warum ganz konkret haben Sie „Das wird eine schöne Zeit“ noch einmal eingespielt?
Konstantin Wecker: Hauptsächlich wegen des Arrangements. Es ist so ein gelungenes Stück Musik. Das war eine Zeit, wo ich eine so tolle Kammermusik geschrieben hab, auch für Filmmusiken und Theatermusiken. Ich wollte das einfach noch einmal einspielen, da ich die Partituren gefunden habe. Was mich sehr stolz macht: Wir haben es mit dem Kammerorchester der Musiker der Bayerischen Staatsoper eingespielt. Das war ein so wunderschönes Erlebnis. Und zum Text: Ich finde, die Hauptzeilen im Refrain „Wenn Krieger vor Liedern fliehen und Waffen Gedichten erliegen“ einfach wunderbar: Das ist ein Credo, das mich in all meinen Gedichten seit 40 Jahren begleitet.

Interview: Jürgen Wittner

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