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Édouard Louis: Wer hat meinen Vater umgebracht

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Der 26-jährige Star der französischen Literatur legt mit diesem Grenzgang zwischen innerem Monolog und offenem Brief sowohl eine Liebeserklärung an seinen Vater als auch eine wütende politische Anklage vor.

Sein Debüt war eine Anklage an den Vater und sein Herkunftsmilieu: In dem autobiografischen Roman „Das Ende von Eddy“ erinnert sich Édouard Louis an seine Kindheit in prekären Verhältnissen. Er schreibt vom Entdecken der eigenen Homosexualität in einem von Rassismus und Homophobie geprägten Umfeld, der Flucht aus der nordfranzösischen Provinz und dem radikalen Abstreifen der alten Identität als Intellektueller in Paris. Fünf Jahre später folgt mit „Wer hat meinen Vater umgebracht“ nun die Gegenerzählung. Der heute 26-jährige Star der französischen Literatur hat sich mit seinem Vater ausgesöhnt, und als er ihn nach Jahren wiedersieht, trifft er auf einen gebrochenen Mann, der mit gerade 50 unter einer kaputten Wirbelsäule, schwerer Diabetes und Atemnot leidet. Louis versucht zu verstehen, was aus diesem Menschen den harten und wortkargen Vater seiner Kindheit gemacht hat, und so ist sein mit 80 Seiten sehr schmaler Grenzgang zwischen innerem Monolog und offenem Brief sowohl pathetische Liebeserklärung an den Vater als auch eine sehr konkrete Benennung der Schuldigen. „Nicolas Sarkozy und Martin Hirsch haben dir das Rückgrat gebrochen“, schreibt er etwa, da der Vater nach deren Sozialreform aus dem Jahr 2009 gezwungen war, trotz bescheinigter Arbeitsunfähigkeit einen Job als Müllsammler anzunehmen. Natürlich geht Louis auch den amtierenden Emmanuel Macron an, der so gern auf die Armen und Arbeitslosen herabschaut und sie als Faulpelze bezeichnet – und es mag sein, dass die Argumentation Louis’ zu vereinfacht und schwarzweiß ist. Doch im Verbund mit dem Soziologen Didier Eribon fordert er bereits seit einiger Zeit eine Kultur, die auch den Abgehängten eine Stimme verschafft. Ganz sicher wird Édouard Louis zukünftig weiter an einer angemessenen Umsetzung arbeiten. Sein aktuelles Buch ist da eher ein literarischer Notruf – und zwar ein unter den aktuellen Umständen ganz wichtiger. cs

Édouard Louis Wer hat meinen Vater umgebracht

S. Fischer, 2019, 80 S., 16 Euro

Aus d. Franz. v. Hinrich Schmidt-Henkel

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