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Agnes Hümbs: Traumfabrik

Da hast du Philosophie studiert, den Kopf voller Kant und kaum Bock aufs Lehramt. Was tun? Eine Frage, die Lenin zwar provozierend in den Raum gestellt, doch nie erschöpfend beantwortet hat. Aber Agnes Hümbs, für sich jedenfalls. Sie praktiziert seit 1993 als Philosophin. Hört sich seltsam an, aber sagte nicht schon Wittgenstein: „Philosophie ist keine Ansammlung von Aussagen über die Welt, sondern eine Tätigkeit“? Na also.

Es ist früher Nachmittag in Bremen, und die Spielothek MoneyMaker sieht traurig und verlassen aus. Straßenbahngleise träumen von aufregenderen Zeiten. Gegenüber ein Haus mit kleinen, von Frauen geführten Gewerbebetrieben. Agnes Hümbs ist blond und eine davon, aber schon nach wenigen Minuten mit mit ihr hat man alle Blondinenwitze vergessen.

„Mit dem Kopf kann man alles verlassen“, sagt sie und dreht sich eine Drum, „sogar das Universum.“ Die geistigen Fernreisen der Frau Hümbs starten gewöhnlich in einer netten Sitzecke ihres Büros im ersten Stock – und sie verdient Geld damit. Es kommt von Seminaristen, die Lust haben am Denken. Vier Sitzungen für 95 Mark: Da kann man nicht meckern.

An der Wand steht eine kleine Couch. Dazu ein paar Sessel; eine grazile Stehlampe liefert das richtige Licht zum Denken. Wer in Hümbs‘ abendliche Sitzungen kommt, will nicht nur ihren gern propagierten Kräutertee kosten („… weil ich einfach den Beutel in die Kanne halte und das für mich so einfach ist …“), sondern sich auch an Kniffelfragen wagen. Der will über Macht und Moral reden – en vogue seit Bimbes – oder über Ethik und Gentechnik. Manchmal geht‘s aber auch nur um Genreklassiker, um den Kategorischen Imperativ zum Beispiel. Aber was heißt schon „nur“. Ist ja oft nicht so einfach, das mit der Philosophie. Agnes Hümbs jedoch hat auf alles die richtige Antwort – nein: die richtige Frage. Denn wer bei der Philosophin mit Staatsexamen auf simple Rezepte hofft, mit denen er sich ein Weltbild braten kann, ist falsch in ihrer Kuschelecke mit Kaminkreisflair. Sie liefert keine Lösungen, sondern Anreize zum Selberdenken. Larifari geht bei ihr nicht durch, sorry; wenn wolkige Phrasen aufkommen, folgt ein unerbittliches Hümbssches Warum, und dann noch eins, und irgendwann ist der Proband mit dem Latein am Ende. Oder am Kern des Problems.

Agnes Hümbs, diese gutgelaunte Blondine Anfang 40, ist die personalisierte Antithese zur TV-Talkshow. Das meiste Geld verdient sie aber nicht mit ihrer Praxis, sondern mit externen Schulungsseminaren für Vereine und Verbände. „Da geht es häufig um die eigene Auseinandersetzung mit Öffentlichkeit: Wie stellt man sich dar – und setzen wir uns damit in die Nesseln oder nicht?” Philosophie im Dienst der Public Relations: Was würde Hegel dazu sagen? Natürlich schaut Agnes Hümbs sich gut an, wer sie engagieren will. Vegetarierverband? Ja. Tierschützer? Auch okay.

Heute ist sie etabliert, aber der Anfang war zum Seufzen. „Das hatte ich mir schön gedacht: Ich mache jetzt Beratungsgespräche, und mir rennen sie die Bude genauso ein wie einer Psychologin“, schmunzelt sie stillvergnügt. „Aber es war desaströs! Ich saß hier ganz alleine, wartete, dass das Telefon klingelte. Meine Freundin, eine Rechtsanwältin, sagte immer: Das ist die ersten drei Jahre so, mach dir keine Sorgen …“

Frau Philosophin musste lernen, ihren Service zu verkaufen. Ihr Topslogan: „Beim Philosophieren lernt man sehr differenziert zu denken, und wenn man das kann, kann man auch klar und praktisch handeln.“ Weil viele Leute – Manager, Chefideologen – genau das müssen, war sie bald gut gebucht.

Daneben begann sie, in ihrer gemütlichen Sitzecke Seminare anzubieten, zu Sloterdijk, zur Lust aufs Denken. Viermal anderthalb Stunden, einmal die Woche. „Manche Leute haben sich nie mit dem Denken befasst, denken einfach. Man muss aber ein Niveau finden, auf dem man sich austauscht. Dann nehmen wir Themen, für die man sich hier interessiert, ob Plato oder Postmoderne.“ Und irgendwann kamen sie, die Angestellte und Pädagogen um die 40, seltener welche, die noch studieren. „Aber keine Handwerker“, sagt Agnes Hümbs. „Zeitweise geballt Zahnärztinnen. War mal so ne Welle.“ Manche sind dabei, die erfolglose Psychotherapien hinter sich haben; die sind hier falsch. Und da die Sinnsuche Volkssport ist, hat sie auch Esoteriker im Haus. „Viele kommen hierher, um auch das auszuprobieren, es aber genauso behandeln wie Esoterik. Ich reagiere darauf philosophisch, frage sie also, warum sie das denken, zeige ihnen die Chancen auf, die in diesem Hinterfragen stecken.“

Durchs Fenster sieht man die traurige Fassade der Spielothek MoneyMaker, drinnen frage ich die Philosophin das, was man eine Philosophin, wenn man sie schon mal an der Hand hat, tunlichst fragen sollte: Was ist eigentlich der Sinn des Lebens, so in einem Satz?

Tja – und dann verrät sie ihn mir.

Matthias Wagner

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