Alte Schule
Wer den Dandy Bryan Ferry in jungen Jahren erleben will, hat jetzt endlich Gelegenheit dazu.Von Steffen Rüth
Er war, ist und bleibt ein Meister der großen Illusionskunst. „Musik ist für mich kein Mittel, um andere Leute oder gar mich selbst zu therapieren“, sagt Bryan Ferry. „Erst recht liegt es mir fern, politische oder gesellschaftliche Belehrungen in meinen Songs auszusprechen. Was ich will, ist einfach: Ich will die Fantasie der Hörer stimulieren. Deshalb lag es für mich stets auf der Hand, über die Liebe zu singen, immer und immer wieder, bis heute. Ich selbst bin manchmal ganz verblüfft, wie viele Variationen an Liebesliedern es tatsächlich gibt.“
Nun, auch im Liebesleben des Bryan Ferry, der mit nicht wenigen, sehr schönen und zum Teil auch sehr berühmten Frauen zusammen gewesen ist, gab es einige interessante Twists. Seinen Ruf als Partylöwe, Dandy und Herzensbrecher hat sich der mittlerweile 74 Jahre alte, aber nach wie vor sehr umtriebige Musiker jedenfalls nicht vollständig zu Unrecht erarbeitet. „Ich bin der Faszination verfallen, die von den Frauen ausgeht. Frauen sind ein ewiges Mysterium, sie sind undurchschaubar und manchmal auch fatal.“ Seit bald 50 Jahren ist dieser stets gepflegte und mit ausgefeilten Gentleman-Manieren daherkommende Musiker eine absolute Ausnahmeerscheinung. Während Ferry, den die Pop-Götter nicht nur mit einem aparten Äußeren, sondern auch mit einer Stimme zum Dahinschmelzen ausgestattet haben, Anfang der 70er zunächst mit Andy Mackay und Brian Eno große Erfolge als Frontmann von Roxy Music gefeiert hat, war er parallel zu so wundervoll schwermütigen und formvollendeten Songs wie „Virginia Plain“ jedoch auch schon als Solokünstler aktiv. Das nun veröffentlichte Konzertwerk „Live at the Royal Albert Hall 1974“ ist auch deshalb so spannend, weil es der erste Live-Mitschnitt überhaupt ist, der Ferrys frühe Solophase dokumentiert. Noch lange bevor er 1985 mit Solo-Hits wie „Slave to Love“ oder „Don’t Stop the Dance“ zum Mainstreamstar wurde, betörte Bryan Ferry vor 46 Jahren mit eigenen Songs, aber auch mit vielen Coverversionen von etwa „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones oder Bob Dylans „A hard Rain’s a-gonna fall“.
Damals schon unverzichtbar: der perfekt geschnittene Anzug sowie diese Ferry-typische Mischung aus Erotik und Pathos in der Stimme. Was er – etwas überraschend – indes nie war? Ein klassischer Aufreißer. „Ich bin ein Mensch, der an eine romantische Erlebniswelt glaubt“, beteuert er. „Flüchtige Amouren hatten für mich nie einen Reiz. Ich musste mich immer erst verlieben, bevor ich mit einer Frau geschlafen habe.“