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Angel Olsen: All Mirrors

Um aus ihrem vierten Album ein Meisterwerk zu machen, musste Angel Olsen sich selbst austricksen.

Mit Veränderung hat Angel Olsen kein Problem: Stand bei den angeschrägten Folksongs ihres Debüts „Strange Cacti“ aus dem Jahre 2010 noch die mit Fingerpicking-Technik gespielte Akustikgitarre im Zentrum, überraschte sie vier Jahre später auf „Burn your Fire for no Witness“ mit einem deutlich raueren und rockigeren Bandsound. Mit „My Woman“ schien sie dann in einem passenden Umfeld für ihren vielschichtigen Gesang und das charakteristische Vibrato in ihrer Stimme angekommen zu sein: Mit Melodien, die an Klassiker aus den 60ern erinnern, pendelte Olsen zwischen Rock, Countrypop und Folk, während 80er-Synthies und eine moderne Produktion ihre Kompositionen in die Zeitlosigkeit überführten. Auf das von Fans und der Kritik gefeierte Werk wollte Olsen jetzt eigentlich mit einem Zweischritt aufsetzen: Geplant waren die Songs als nackter Soloentwurf à la Bruce Springsteens „Nebraska“, und in einer zweiten Version sollte „All Mirrors“ dann auch als Bandalbum mit üppigeren Arrangements erscheinen.

Doch kaum war der Alleingang fertig, erkannte Olsen das Potenzial des neuen Materials und wagte sich bei der Bearbeitung viel weiter vor, als sie es sich ohne die Sicherheit des geglückten minimalistischen Entwurfs getraut hätte: Für das von John Congleton produzierte Album hat sie mit einem 14-köpfigen Orchester und zwei klassisch ausgebildeten Komponisten gearbeitet. Gefahrlos war das nicht, denn auch schon in der Vergangenheit waren Angel-Olsen-Songs stets hochemotionale Angelegenheiten – doch statt mit Pathos und Bombast die Grenze zum Kitsch zu überschreiten, erschließen die Streicher eine neue Tiefenstruktur. Wenn die Platte Trennungen und das Hadern mit der eigenen Liebesfähigkeit und dem Selbstwertgefühl verhandelt, geht es hier längst nicht mehr eins zu eins um die Reflexionen einer 32-jährigen Songwriterin, sondern um eine hochkomplexe Gegenüberstellung von Eigen- und Fremdwahrnehmungen.

Nancy Sinatra, Brian Eno, Henryck Gorecki und natürlich Scott Walker waren wichtige Referenzen für diese Platte, und sie sind keinesfalls zu hoch gegriffen, denn Olsen weiß um die richtige Dosierung: Während bei „New Love Cassette“ die wavigen Synthies die Oberhand behalten und die Streicher bei leichtfüßigeren Songs wie „Spring“ und „What it is“ nur leichte Widerhaken setzen, gewinnen die orchestralen Elemente bei „Lark“ immer mehr an Dominanz und durchsetzen den Opener mit schwindelerregendem Chaos. „I like the air that I breathe/I like the thoughts that I think/I like the life that I lead“, singt Olsen in der Ballade „Tonight“, und während die Streicher sie zunächst noch harmonisch begleiten, brechen sie beim wiederholt vorgetragenen „without you“ auf und lösen sich vom Gesang. Im Anschluss sorgt „Summer“ noch mal für eine vermeintliche Verschnaufpause – doch spätestens zum herzerweichenden Finale mit „Endgame“ und „Chance“ sollte man eine Umarmung oder aber zwei Flaschen Rotwein in Griffnähe haben.

„All Mirrors“ erscheint am 4. 10. Hier könnt ihr das Album bei Amazon bestellen.

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