„Bestseller Boy“ will von Literatur erzählen, aber es geht doch nur ums Vögeln
Die Serie erzählt von den Problemen jungliterarisches Ruhms. Spannendes Thema eigentlich, nur suboptimal umgesetzt – meist turnt die Hauptfigur nur durch die Betten.
In der ZDF-Mediathek und bei ZDFneo gibt es die niederländische Serie „Bestseller Boy“, in der ein junger marokkanischstämmiger Autor mit seinem ersten großen Buch Erfolg hat – der Serie selber fehlt^ aber einiges zum Erflog.
„Bestseller Boy“ in der ZDF-Mediathek: Worum geht es?
Der junge Mohammed, genannt Momo (Shahine El-Hamus), arbeitet als Sushi-Lieferant und schreibt nebenbei an einem Roman über sein Leben: Culture Clash, Liebe, Sex. Beim Großverlag Global wird er harsch abgelehnt, aber die gerade bei Global ausgeschiedene Lektorin Maaike Hamer (Wimie Wilhelm) bringt Momos Buch „Mohammed, das Problem“ bei ihrem neu gegründeten Kleinverlag heraus. Momo hingegen muss feststellen, dass die ungefragte Verwendung seiner privaten Erlebnisse – dem Leben mit seinen ultra-altmodischen marrokanischen Eltern, mit seinen Kumpels aus dem Viertel, der Beziehung zu Evelien (Zoë Love Smit) – bei den Betroffenen gar nicht gut ankommt. Evelien macht Schluss, die Kumpels feinden ihn an, seine Eltern schmeißen ihn raus, da kann er noch so oft betonen, dass es sich bei seinem Buch um Fiktion handelt und von der Realität nur inspiriert ist. Und war es wirklich eine so gute Idee, statt 500 heimlich 50 000 Tausend Exemplare des Debüts bei der Druckerei zu ordern? Nun sieht Momo erst seine Tantiemen, wenn die Druckkosten wieder drin sind. Solange pennt er bei seinem Cousin auf der Couch. Momo muss so Einiges unternehmen, um diese 50 000 Bücher unter die Leute zu bringen, und der Großverlag hat nach dem Erfolg nun auch Interesse …
„Bestseller Boy“ in der ZDF-Mediathek: der Hintergrund
Es ist kompliziert: Der marokkanischstämmige Amsterdamer Mano Bouzamour hatte 2013 mit seinem semiautobiografischen Debütroman „The Promise of Pisa“ (deutscher Titel: „Samir, genannt Sam“) einen großen Erfolg gefeiert. Das Buch handelte von seiner Jugend als Kind von Einwanderern in den Niederlanden. 2019 wurde der Roman dann ebenfalls mit großem Erfolg verfilmt, mit Shahine El-Hamus in der Rolle von Sam. 2018 erschien dann Bouzamours zweites Buch „Bestseller Boy“, in dem er autobiografisch von seine Erlebnissen als Jungstar in der Literaturszene und erneut seinem Leben als Kind von marrokanischen Einwanderern in den Niederlanden erzählte. Auch dieses wurde jetzt verfilmt, erneut mit Shahine El-Hamus in der Titelrolle. Film/Buch und Serie/Buch erzählen also irgendwie die gleiche Geschichte.
Funktioniert das?
Nur bedingt. „Bestseller Boy“ erzählt von Momos Gratwanderung zwischen den Kulturen, den erzkonservativen und traditionellen Eltern, die innerlich nie in Holland angekommen sind, und seinem Leben als moderner Millennial. Vor allem aber er geht es um den niederländischen Literaturbetrieb, um die Fallstricke, die auf einen jungen Autor warten, um die Verlockungen des Geldes und die Schwierigkeiten, unter Druck weitere Bestseller zu schaffen. Und es geht um Sex, Sex, Sex, denn Momo fallen die hübschen Frauen wie reife Früchte ins Bett, seit er einen Bestseller geschrieben hat. Das mag ja sogar autobografisch sei, ist Bouzamour vielleicht so passiert oder er hat es zumindest so wahrgenommen. So gehäuft, wie hier Frauen einzig als Gespielinnen von Momo als Figuren eingeführt werden, ist es dann doch einfach sehr eitel und zeugt von einem sehr zweifelhaften Frauenbild.
Der negative Höhepunkt ist erreicht, als sogar die Ärztin, die Momo auf Chlamydien (!) untersucht, mit ihm in die Kiste hüpft – der Test war ja negativ … Erschwerend kommt hinzu, dass Momo ein ganz schön großkotziger Kerl ist, was seine Sexpartnerinnen und ihre Wahl noch einmal im schlechteren Licht erscheinen lässt. Auch in den Büchern von Momos Idol, dem besten niederländischen Schriftsteller der Gegenwart, geht es um Sex, was an mehreren Stellen genüsslich vorgelesen wird. Und natürlich vögelt Momo eigentlich auch nur die Erinnerung an seine großen Liebe Evelien weg, die auch Sex mit einem anderen hatte, weil Momo sich zu sehr seinem Buch widmete (die Momo auch selber mehrfach betrogen hat). Was will uns die Serie, will uns Bouzamour damit sagen? Dass die hollänische Verlagswelt jeden Autoren zum Pornoschreiber macht, weil man nonstop mit Sex bombardiert wird? Will „Bestseller Boy“ überhaupt etwas sagen? Schon der Vorlage wurde vorgeworfen, dass sie an seitenlangen Sexszenen krankt und nichts zu sagen hat. Leider hat die Serie über das Schreiben, das Verfassen von Literatur, den kreativen Prozess der Schöpfung von Handlung, Figuren und Konflikten nicht viel zu sagen. Momos Buch kommt als Buch gar nicht wirklich vor.
Aber…
Wenn wir aber mal an der Kritik vorbeigucken, sehen wir, dass hier doch auch eine interessante Geschichte erzählt wird: Davon, wie junge Schriftsteller und Schriftstellerinnen vom Literaturbetrieb eingesogen, ausgesaugt und wieder ausgespuckt und unter Profitdruck zu einem möglichst schnellen zweiten Bucherfolg gedrängt werden – und dabei kommt dann Autofiktion wie „Bestseller Boy“ heraus, in dem Schriftsteller Bouzamour unter Druck nur einfiel, über sein Leben als Schriftsteller zu schreiben. So ist die Literaturszene heute wohl tatsächlich: mediale Aufmerksamkeit, Social-Media-Hype und immer schön tragisch, kitschig und mit einer persönlichen Backstory, so muss es sein für die Masse. Echte, wahre Literatur? Fehlanzeige. Bouzamour hält seine Branche genüsslich den Spiegel vor – wenn auch der Serie ein wenig die Schärfe und Unkonventionalität fehlt und sie mit acht Folgen à 45 Minuten zu lang geraten ist.