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Billy Bragg

Billy Bragg ist der Woody Guthrie Englands: Eine Gallionsfigur der Arbeiterbewegung und großer Songschreiber. Seit seinen frühen Tagen ist zwar schon viel Wasser über dem Ärmelkanal verdampft, doch der gute Billy setzt uns noch immer geduldig seine Ansichten über Sozialismus und Globalisierung auseinander. Und über Fußball natürlich.

kulturnews: Was bedeutet es dir ein Engländer zu sein und kein Deutscher oder Chinese?

Billy Bragg: Ich bin in England geboren, ich lebe in England, ich gucke englisches Fernsehen. Wenn ich in Deutschland geboren wäre, in Deutschland leben wäre und deutsches Fernsehen sehen würde. Das ist alles. Englischsein ist nur durch die Grenzen und den Raum definiert, den man England nennt. Identität aber ist etwas persönliches und nichts nationales. Das wird erst dann zu einem Problem, wenn jemand anderes dir erzählen will, was du sein sollst, wegen der Sprache, die du sprichst, der Religion oder Hautfarbe die du hast.

kulturnews: Werden in der heutigen Pop-Musik noch solche Themen verhandelt?

Bragg: Die Welt hat sich verändert. In den Achtzigern war es wunderbar einfach politische Songs zu schreiben. Damals gab es Themen wie Thatcher, Reagen oder Apartheid. Heute ist es ungleich schwerer Sachen wie den Anschlag vom 11. September in verständliche Worte zu fassen. Denn deren Ausmaße sind nicht vergleichbar mit dem, was damals stattfand …

kulturnews: …und bedeuten wohl gleichzeitig das Ende unserer Spaßgesellschaft, oder?

Bragg: Ja, mit Sicherheit. Du kannst nicht nur die ganze Zeit Spaß, Spaß, Spaß haben. Genauso wenig, wie nur Politik, Politik, Politik. Doch der traurigste Aspekt dieses Unglücks ist für mich, dass die Amerikaner unfähig sind zu Begreifen, wie das alles hat passieren können. Wir alle wissen, dass es Zeichen gab. Diese Dinge passieren nicht einfach so. Doch hilft es nichts ihnen zu sagen: seht, hier und hier liegen die Zusammenhänge. Sie müssen selbst dahinter kommen. Nur sollten wir sie davon abhalten, weiter so unsensibel durch die Weltgeschichte zu trampeln.

kulturnews: Aber nicht nur die Welt ist anders geworden. Auch du scheinst deinen Fokus verschoben zu haben, vergleicht man dein Engagement für die Situation der Bergbauarbeiter in den 80ern mit Songs wie „Socialism of the Heart“

Bragg: Nicht wirklich. Ich versuche noch immer nur zu reflektieren was um mich herum passiert. In den 80er Jahren gab es in viele ideologische Kämpfe: Ich habe darauf reagiert. In den 90ern hat das aufgehört, weil der Sozialismus aufhörte ein Ideal zu sein, als die Sowjetunion auseinanderbrach. Die wichtigste Frage war für mich, in welcher Gesellschaft möchte ich leben? In der amerikanischen Variante des Kapitalismus, die auf Ausbeutung oder einer, die auf einem fürsorglichen Ideal basiert. Einer Art demokratischen Sozialismus. Für mich ist Mitgefühl auch Sozialismus. Ein Sozialismus des Herzens, anstatt des Kopfes.

kulturnews: Eine moderne Variante also.

Bragg: Ich denke, der Sozialismus muss sich verändern. Er darf sich nicht um sich selber drehen. Ich war niemals ein Marxist. Marx ist nur eine historische Vision. Ich habe die Politiker immer danach beurteilt wie menschlich sie sind. Danach, ob sie versuchten einen ideologischen Ausdruck für Menschlichkeit zu finden.

kulturnews: Ist das vereinte Europa dafür ein Garant?

Bragg: (lacht) Für den Euro sprechen drei Gründe: Sven! Göran! Eriksson!

Interview: Karsten Witthoefft

Live-Termine

23. 9. Große Freiheit, Hamburg

24. 9. ColumbiaFritz, Berlin

26. 9. Prime Club, Köln

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