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Billy Hutter: Karlheinz

Wenn man schon professioneller Wohnungsauflöser ist wie der Ludwigshafener Billy Hutter, dann sollte man es halten wie ein Psychiater: nichts zu sehr an sich ranlassen. Hutter hat in einem einzigen Fall das Gegenteil getan, hat Kisten voller Material in seiner Wohnung über Jahrzehnte aufbewahrt, hat Ausstellungen mit Dingen aus der Lebenswelt einer Person namens Karlheinz veranstaltet und legt jetzt sogar einen Roman vor. Karlheinz ist ein Mensch, der nie erwachsen wurde und bis zu deren Tod bei seinen Eltern lebte. Zwei Versuche, wie sein Vater Chemie zu studieren, scheitern. Eine einzige Verabredung mit einer Frau ist dokumentiert, danach gab es – und Karlheinz hat alles dokumentiert! – nur noch einige Huren in seinem Leben. Anhand von Quittungen, Postkarten, Fotos und vielen weiteren Unterlagen blättert Billy Hutter das Buch eines Lebens vor uns auf, das wir nicht lesen wollen, von dem wir aber wie die Voyeure nicht wegkommen. Geschickt überträgt Hutter seine Neugier auf die Leser, durchforstet mit ihnen Ludwigshafen nach Spuren von Karlheinz von den 1940er-Jahren ab bis zu seinem Tod Ende der 1980er im Rhein. Dieser Roman ist ein erdrückendes Dokument aus der Nachkriegszeit der Bundesrepublik.

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