„Blood & Sinners“: Wenn der Blues die Vampire anlockt

„Black Panther“-Regisseur Ryan Coogler lässt die entfesselte Kraft der Musik los – und die Untoten, die davon angelockt werden.
Ryan Cooglers neuer Film „Blood & Sinners“ ist etwas für Freunde von „From Dusk till Dawn“, heißer Musik und Blockbustern, die keine Fortsetzung, Wiederauflage oder ein Ableger eines Franchises sind und sogar einiges zu sagen haben über die Gesellschaft und uns Menschen. Hollywood produziert davon nicht viele, umso besser, dass das Horror-Blues-Drama auch ordentlich Qualität hat und hoffentlich an der Kinokasse ordentlich was einspielt.
Vier Filme hat Ryan Coogler bisher gedreht, und in dreien davon war Michael B. Jordan dabei oder gleich Hauptdarsteller: „Nächster Halt: Fruitvale Station“ (2013), „Creed – Rocky’s Legacy“ (2015) und „Black Panther“ (2018). Keine Überraschung also, dass Coogler in seiner fünften Regiearbeit zum vierten Mal seinen Lieblingsschauspieler dabei hat, diesmal sogar in einer Doppelrolle als Zwillingsbrüderpaar.
„Blood & Sinners“: Tanz der Vampire
Wir befinden uns im Jahr 1932 in Clarksville im Mississippi Delta. Die Brüder Stack und Smoke (beide J0rdan) haben als Gangster in Chicago für Al Capone gearbeitet und kehren nach sieben Jahren in ihre Heimat zurück, um einen Juke Joint aufzumachen, einen Klub für Schwarze, wo sie sich bei all der rassistischen und lebensbedrohenden (Lynchmorde des Ku Klux Klan) Unfreiheit des Lebens bei Musik, Alkohol und Tanz mal ganz frei fühlen können nach der Arbeit als Lohnsklaven auf den Feldern. Dabei treffen sie nicht nur auf Geister der Vergangenheit wie die spirituelle Heilerin Annie (Wunmi Mosaku), die Frau, die Smoke trotz oder wegen des verstorbenen gemeinsamen Kindes verließ, oder Mary (Hailee Steinfeld), zu einem Viertel schwarz, mit der Stack eine heftige Affäre hatte, und die er sitzenließ, weil er lebensbedrohliche Konsequenzen für sie beide fürchtete, da Mary zu drei Vierteln weiß ist. Die beiden früheren Soldaten treffen auch auf ganz reale Dämonen, die angezogen werden vom magischen Delta Blues ihres jungen Cousins und „Son of a Preacher Man“, des Predigersohnes Sammi (Miles Caton): Drei weiße Vampire unter Führung des irischen Beißers Remmick (Jack O’Connell) versuchen, sich Zutritt zur pulsierenden Eröffnungsnacht im Juke Joint zu verschaffen.
Jedoch müssen sie aufgefordert werden einzutreten, können nicht einfach eindringen – leider kommt ihr doch sehr weißes, creepiges Folklied übers Häuten und Essen eines Hasens nicht so gut an vor dem Bluesschuppen und den Betreibern. Diese merken: Foklore und das Böse im Menschen, da haben sich zwei gefunden … Und während drinnen die Party abgeht und sich alle auf die eine oder andere Weise gehen lassen, aber die Einnahmen zu gering ausfallen, weil viele Gäste nur mit Plantagendollars aus Holz zahlen, hat Mary bald eine Idee: Stack, lass uns doch die drei Weißen reinholen, die wir vorhin weggeschickt habe, als sie um Einlass baten, die haben bestimmt Geld …

„Blood & Sinners“ stellt den Horror und das Blutvergießen nicht in den Mittelpunkt, baut dafür lange Spannung auf, auch über sorgsame Charakterzeichnung. Vor allem geht es Coogler um Spirituelles, um die Folgen der Sklaverei und Rassismus und um die Musik, die hier geradezu magische Qualitäten hat, und die Dämonen der Vergangenheit und der Zukunft anrufen kann. Eine atemberaubende Sequenz im Juke Joint verfolgt die Wurzeln des Blues und seine Evolution in beide Richtungen der Zeitlinie: Ins Gestern zu tribalen Riten von afrikanischen Stämmen, traditionellem japanischen Kabuki-Theater mit Tanz und Pantomime und in die Zukunft bis in unsere Gegenwart mit Bluesrock, P-Funk, Rappern, Breakdancern und DJs an den Turntables. Coogler unterläuft in regelmäßige Abständen unsere Erwartungen, und interpretiert die Blutsauger auch als Ausflucht für Afroamerikaner in ein endloses, ermächtigtes Leben aus einem kurzen, unfreien Dasein. Auch greift Coogler mit der Figur des Sammi die Legende auf, wonach der legendäre Bluesgitarrist Robert Johnson (1911–1938) einst für musikalischen Erfolg dem Teufel seine Seele verkauft haben soll.
Während die Vampire draußen immer mehr werden, spielt auch hier die Musik eine große Rolle: In einer weiteren meisterhaften Tanzszene führt Remmick seiner nun aus Untoten aller Rassen bestehende Meute zu einer Art okkulter Jig, einem irischen Volkstanz, weltweit bekannt gemacht einst durch die Show „Riverdance“. Der europäische Einwanderer Remmick bezeichnet sich später gegenüber Smoke und den anderen in der Scheune als genauso diskrimiertes Wesen wie die Schwarzen im Süden und preist die vereinigenden Kraft des Rhythmus, dem sie als Vampirrotte für immer gemeinsam nachgehen könnten, in einer homogenen Gruppe jenseits von Hautfarbe und Herkunft. Was er verschweigt: Dazu muss auch der von Sammi so göttlich und außerweltlich gespielte und gesungene Blues im Sound der Nachweltwesen aufgehen – genau, wie die weiße Musikindustrie den Blues später in den 50er- und 60er-Jahre übernommen und zum Milliardengeschäft Rock’n’Roll für ein weißes Publikum gemacht hat. So ist „Blood & Sinners“ auch ein Film über kulturelle Aneignung und das leere Versprechen einer diversen und gleichberechtigten Gesellschaft. Diese Vampire wollen mehr als Blut: Sie wollen die schwarze Kultur aussagen. Eine ganz starke Metapher! Damit ist es auch eine Geschichte über Widerstand und Kulturkampf. Und gleichzeitig zieht Coogler grandiose Parallelen zwischen der afroamerikanischen und der irischen Musik und zwischen zwei Kulturen, deren Vertreter über Jahrhundert hinweg ausgebeutet, unterdrückt und vertrieben wurden.
Rassismus ist überall
Mögen Smoke und Stack in der Großstadt auch in einer weißen Gang gedient, mögen sie im Ersten Weltkrieg in den Gräben getötet, sich Status und Stolz sprichwörtlich erkämpft haben: Hier im tiefsten Süden der USA sind sie trotz ihrer Knarren, ihrer schicken Klamotte und ihrer No-Nonsense-Attitüde nur ein paar wertlose „Dinger“, auf die die weißen Vorherrschaftler herabspucken, und das ist noch das Beste, was sie tun. Der amerikanische Traum bleibt ihnen verwehrt. Wie sagt Smoke irgendwann zu Sammi, der wie sie hier weg und nach Chicago will? „Da ist es genauso wie hier, nur mit Hochhäusern statt Baumwollenplantagen“. Am Ende des Films wird sich in einem kurzen Epilog der lebenslange Rassismus, dem die Zwillinge ausgesetzt waren, explosiv entladen.
„Blood & Sinners“ (Originaltitel nur „Sinners“) zeigt uns die musikalische Seite von Untoten – das gab es so auch noch nicht. Er ist Southern Gothic Horror, Arthouse meets Grindhouse, Blockbuster, Autorenkino , Black Cinema vom Feinsten, der beste Film über die Macht der Musik seit langem. Und es ist Cooglers erster Film, der keine Comicvorlage („Black Panther 1 + 2“), keine Filmreihe als Vorlage („Creed“ als „Rocky“-Spin-off) und keine nachrichtliche Vorlage (Mord an einem jungen Schwarzen durch die Polizei in „Nächster Halt: Fruitvale Station“), sondern ganz und gar auf seinen eigenen Ideen beruht. Das ist ein echter Gewinn für die Filmwelt. Mehr davon!