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Schutzlos glücklich

Bruce Springsteen vor einem historischen Hintergrund, gekleidet in eine Lederjacke und Schal
(Foto: Danny Clinch)

Mit seinem rauen Album „Letter to you“ balanciert Bruce Springsteen auf Messers Schneide – zwischen Rock und Verletzlichkeit.

Es ist natürlich wieder so eine verdammt filmreife Geschichte: 1965 trat ein junger Bruce Springsteen in New York als Gitarrist der Band The Castiles in kleinen New Yorker Klubs auf. 1968 lösen The Castiles sich wieder auf, ihr Sänger George Theiss, gerade mal 20, wurde Tischler, heiratet und bekommt ein Kind. Springsteen dagegen – na ja. Jedenfalls nehmen die beiden den Kontakt irgendwann wieder auf, und Theiss spielt in der New-Jersey-Region weiter als Singer/Songwriter in kleinen Klubs und Bars. Fast forward bis 2018, Theiss liegt im Sterben und Springsteen fliegt nach North Carolina, um dem alten Weggefährten auf dem Totenbett die letzte Ehre zu erweisen. Jetzt ist er das letzte lebende Mitglied seiner ersten Band.

Wahrscheinlich trieb ihn das alles schon 2019 um, als er mit dem warmen orchestralen 60s-Pop von „Western Stars“ den Blick zurückgeworfen hat. „Letter to you“ ist jetzt dessen Antithese: ein raues Album, zugleich sein erstes mit der E-Street-Band seit „High Hopes“ aus 2014, das Springsteen und seine Band in wenigen Tagen und so gut wie ohne Overdubs live im Studio eingespielt haben – so hat die E-Street-Band seit den 70ern nicht mehr geklungen. Nehmen wir als Beispiel nur einmal die Pianoballade „House of a thousand Guitars“, in der Springsteen singt: „I tally my wounds and count my scars“. Und: „The criminal clown has stolen the throne/he steals what he can never own/let the truth ring out from every small town bar“.

Und das funktioniert, denn das Pathos überlagert seine Verletzlichkeit nicht, sondern legt sie offen – auch wenn man kein Nerd ist und sich dabei nicht den 16-jährigen Bruce mit den Castiles in irgendeiner Bar vorstellt. Auch so in „Letter to you“, wo Springsteen ankündigt: „In my letter to you/I took all my fears and doubts/all the hard things I found out/all that I’ve found true“. Er und seine E-Street-Band mögen rocken wie in den 70ern, aber sie tragen die Spuren der Zeit zur Schau. E-Street-Keyboarder Danny Federici ist tot, ebenso Saxofonist Clarence Clemmons – und eben auch George Theiss. „One minute you’re here“, heißt es schon im akustischen Opener, „next minute you’re gone“.

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