„Demokratie ist wie Sport“: Ausstellung in der Bundeskunsthalle Bonn
… und wir müssen müssen permanent unsere demokratischen Muskeln trainieren, sagt Johanna Adam, Kuratorin an der Bundeskunsthalle in Bonn. Und hat dazu eine hochaktuelle Ausstellung gemacht.
Frau Adam, eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung ergab im Februar: Mehr als jeder zweite junge Erwachsene vertraut der Regierung nicht, 45 Prozent misstrauen dem Parlament. Bestätigt Sie das in der Idee für Ihre Ausstellung „Für alle! Demokratie neu gestalten“ an der Bundeskunsthalle Bonn?
Die große Mehrheit in Europa hält die Demokratie für die beste Regierungsform, auch wenn sie nicht perfekt ist. Gleichzeitig steigt in vielen Ländern der Wunsch nach einer starken Führungsperson. Daraus lässt sich auch eines ablesen: Die vielbeschworene Krise der Demokratie ist vielmehr eine Krise der Repräsentation. Dies betrifft zum einen die Wahrnehmung der Kompetenz von Volksvertreter:innen. Es deutet aber noch auf etwas Anderes, sehr Wichtiges hin: Werden wirklich alle repräsentiert, sind alle Gruppen und Interessen ausreichend vertreten?
In Zeiten großer Veränderungen wenden sich viele Leute den einfachen Antworten rechter Parteien zu. Was kann die Kunst dagegen tun? Aktivistischer werden? AfD-Wählern Tickets für Museen in die Hand drücken?
Es gibt immer diejenigen, die nicht mehr zu erreichen sind und jene, die indifferent sind oder die sich so sehr wünschen, einfache Lösungen für komplexe Fragen zu erhalten. An dieser Stelle können wir nichts anderes tun, als auf die unangenehme Wahrheit hinzuweisen: Der Kiosk der einfachen Antworten ist leider dauerhaft geschlossen! Wir thematisieren all dies in unserer Ausstellung aber auf spielerische Weise und laden dazu ein, sich einzubringen. Mit nachzudenken, zu diskutieren, die Zukunft unserer Demokratie mit zu gestalten. Und wir zeigen in der Ausstellung einige Beispiele demokratischer Beteiligungsprozesse, die weit über das Wählen hinausgehen.
Die Ausstellung bindet zahlreiche Elemente eines Demokratietrainings ein. Müssen wir es echt wieder üben, demokratisch zu sein?
Das ist leider wie beim Sport: Man muss permanent dranbleiben! Sich auszuruhen, seine demokratischen Muskeln nicht trainieren bedeutet: Nicht teilnehmen, nicht mitsprechen und das Feld den anderen – eventuell antidemokratischen – Akteuren zu überlassen.
Sie rufen zur aktiven Beteiligung an der Demokratie auf. Wie sollte diese am besten aussehen?
Adam: Unsere Verfassung, das Grundgesetz, sieht dafür viele unterschiedliche Möglichkeiten vor. Zur Wahl zu gehen oder sich wählen zu lassen sind ja nur Teilaspekte. Wir können Petitionen einreichen, unsere Anliegen direkt mit unseren lokalen Abgeordneten teilen, etwa bei Bürger:innen-Sprechstunden. Wir können demonstrieren, protestieren, streiken, uns an Bürgerräten oder in kommunalen Initiativen engagieren. Das Recht auf freie Meinungsäußerung gilt im Übrigen nicht nur für die öffentliche Debatte: Ich finde es auch wichtig, privat immer wieder das Gespräch zu suchen. Auch mit Freunden und Familie bin ich nicht immer einer Meinung, schätze aber besonders das kontroverse Gespräch und bin gespannt auf Argumente, die ich noch nicht kannte. Ich habe bereits viele lehrreiche Momente in Situationen erlebt, in denen ich nicht damit gerechnet hätte.
Bundeskunsthalle Bonn: Update oder gleich Neustart?
Der Ökonom Raghuram Rajan sagte letztens in einem Interview, dass die Demokratie nicht gehalten habe, was sie versprach. Brauchen wir nicht nur ein Update, wie sie in Ihrer Ausstellung sagen, sondern gleich einen Neustart?
Adam: Die Demokratie hat in vielfacher Hinsicht (noch) nicht gehalten, was sie verheißen hat. Der Titel unserer Ausstellung „Für alle!“ zielt darauf ab: Löst sich dieses Versprechen für alle ein? Lange Zeit durften Frauen weder aktiv noch passiv an Wahlen teilnehmen. Menschen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, haben kaum Möglichkeiten zur politischen Teilhabe, auch wenn sie in Deutschland leben, teils hier geboren sind. Und es gibt natürlich weltweite Defizite: Nicht nur die Menschen betreffend, die in autoritären Staaten leben, sondern auch Gremien, die global agieren, aber nicht demokratisch legitimiert sind. Wie zum Beispiel bei den G7-Gipfeln, wo die Regierenden der ökonomisch führenden Nationen gemeinsam Entscheidungen fällen, die schlussendlich alle betreffen. Dennoch stellt sich aus meiner Sicht die Frage: Was erwarten wir, wenn wir die Demokratie kritisieren? Die Demokratie, so wir sie leben, wurde von uns, den Menschen als System kreiert. Was nicht gut funktioniert, müssen wir gemeinsam ändern – das übernimmt niemand anderes für uns. Und dazu braucht es eben jenes Engagement, von dem wir hier sprechen.
Interview: Volker Sievert