Cannes-Gewinner: Porträt einer jungen Frau in Flammen
In Cannes gewann „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ den Preis für das beste Dehbuch. Das Liebesdrama hätte aber noch viel mehr Auszeichnungen verdient!
Zwei Frauen, die sich im 18. Jahrhundert ineinander verlieben: Es ist klar, dass eine solche Geschichte tragisch enden muss – aber was kann damit in „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ heute noch erzählt werden? Wozu für einen LGBT-bezogenen Liebesfilm zweieinhalb Jahrhunderte in die Vergangenheit schweifen? Malerin und Kunstlehrerin Marianne (Noémie Merlant) wird von einer ihrer Schülerinnen nach einem Bild gefragt, das eine Frau zeigt, deren Kleid in Flammen steht. Und sie denkt in einer einzigen langen Rückblende, die der Film ist, daran zurück, wie sie von Paris auf eine Insel an der Küste der Bretagne reist, um dort die Klosterschul-Absolventin Héloïse (Adèle Haenel) zu malen. Diese soll eine arrangierte Ehe eingehen und sich für ihren potenziellen Ehemann porträtieren lassen – und weigert sich als letzte Möglichkeit der Rebellion, Modell zu stehen. Marianne muss das Bild also heimlich aus dem Gedächtnis anfertigen – und während sie Héloïse folgt, um sich ihr Gesicht einzuprägen, entwickelt sich eine zaghafte Annäherung.
Reine Leinwandmagie
Regisseurin Céline Sciamma schöpft aus der reichen Farbpalette des Melodrams: der Zoom auf das Gesicht der sich erinnernden Marianne, die Blende von Gemälde zu Wirklichkeit, gleich darauf ein Boot auf Schicksalsfahrt durch tosende Wellen. Doch innerhalb der aufgeladenen Motivik setzt die Scammia auf Introspektion und Impressionismus, arbeitet mit feinen Tupfern statt dickem Pinselstrich. Beim diesjährigen Filmfestival von Cannes hat der Film den Drehbuchpreis bekommen; dabei erzählen Blicke hier mehr als Worte, und wo es an dramaturgischer Zuspitzung fehlt, verweilt Sciamma lange in Momenten und Situationen, um anhand der Entstehung des Porträts zahlreiche Themen einzuflechten. Natürlich geht es in „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ um die restriktive Enge einer patriarchalen Ordnung, in deren Dienst sich auch Marianne stellen muss, indem sie den Auftrag annimmt. Sciamma hinterfragt aber auch Konventionen im Allgemeinen – immer mehr wird aus dem Bild, das Héloïse gemäß der gesellschaftlichen Vorstellungen zeigt, ein tatsächliches Abbild von ihr. Und nicht zuletzt überschreibt Scammia auch den männlichen Blick, der seit jeher die Kunstgeschichtsschreibung prägt. Wo die beste Szene ihres Sozialdramas „Mädchenbande“ von 2014 von Rihannas Song „Diamonds“ untermalt war, ist es hier ein chorales Traditional, das auch deshalb so intensiv wirkt, weil Sciamma ansonsten sparsam mit Musik umgeht.
Spätestens, wenn sie dabei mit poetischer Beiläufigkeit das Rätsel um das entflammte Kleid auflöst, werden die eingangs gestellten Fragen mit reiner Leinwandmagie beantwortet. msb