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„Covers“ von Cat Power: Kleine Taschenlampe brenn’

Portraitfoto Chan Marshall alias Cat Power
(Foto: Mario Sorrenti)

Viele Menschen lieben die traurigen Lieder von Chan Marshall alias Cat Power. Nur nicht der eine, der mit ihr zusammenlebt.

Chan, du hast jetzt zum dritten Mal ein Cat-Power-Album mit Songs von anderen aufgenommen. Wie findest du es denn, wenn umgekehrt jemand eines deiner Lieder covert, so wie jüngst Dave Gahan, der „Metal Heart“ eingespielt hat?

Chan Marshall (atmet tief ein): Ich habe begonnen, seine Interpretation zu hören, aber ich musste sie schnell wieder ausmachen. So ging das ein paar Mal, bis ich es endlich in einem Durchgang geschafft habe. Es ist toll, was er mit dem Song gemacht hat, und absolut surreal für mich, dass jemand mit dem Status von Dave sich meiner Musik annehmen mag. Dave ist wirklich cool.

Gab es eine Art größeren Plan, der dich zu „Covers“ geführt hat?

Marshall: Nein, so würde ich es nicht ausdrücken. Ich bin meiner Intuition gefolgt. Es waren ganz unterschiedliche Impulse, die mich zu jedem einzelnen dieser Lieder geführt haben. Eine Reihe von ihnen spielen wir seit Jahren schon bei Konzerten, andere Stücke habe ich mir dann im vergangenen Jahr vorgeknöpft, um etwas zu tun zu haben. „Against the Wind“ von Bob Seeger war das erste, dann folgte „I had a Dream Joe“ von Nick Cave, und so ging es dann Schlag auf Schlag.

Du hast das Album sogar selbst produziert.

Marshall: Ja, das war eine ganz spannende Sache. Wir haben alles innerhalb von vier Tagen aufgenommen. Bei dem Handwerklichen konnte ich mich wie immer auf meine exzellente Band verlassen. Anschließend habe ich eine Woche lang mit diversen Programmen an den Aufnahmen herumgefummelt, bis sie mir gut genug gefallen haben. Im Studio bin ich eine sehr schnelle und fokussierte Arbeiterin.

Das bekannteste Stück auf „Covers“ ist der Standard „I’ll be seeing you“, den man vor allem in der Version von Billie Holiday kennt. Was ist deine Verbindung mit dem Lied?

Marshall: Ich habe ihn jetzt zweimal auf Beerdigungen singen müssen. Das erste Mal vor Jahren beim Begräbnis eines Freundes in New York, wo ich kaum die Worte rausgebracht habe, weil ich so heulen musste. Und dann ist vor zwei Jahren der Produzent Philippe Zdar gestorben, mit dem ich eng befreundet war. Philippes Frau hat den Song so sehr geliebt. Immer, wenn ich „I’ll be seeing you“ höre oder singe, muss ich nun an sie denken.

Hast du Frank Oceans „Bad Religion“ gecovert, weil du aus einer sehr religiösen Familie stammst?

Marshall: Unterschwellig hat es sicher ein bisschen damit zu tun. Ich blicke speziell auf das Christentum mit sehr gemischten Gefühlen. Die Kirche hätte so viel mehr Potential, eine gebende, empathische Rolle zu spielen. Stattdessen starren wir oft in die Mäuler von gierigen Raubtieren, die mit dubiosen Finanzgeschäften und schäbigen sexuellen Missbrauchsgeschichten absolut abstoßend wirken.

Du bist eng mit Lana Del Rey befreundet, hast auf deinem vorherigen Album „Wanderer“ das Stück „Woman“ mit ihr zusammen gesungen, und nun interpretierst du ihren Song „White Mustang“.

Marshall: Seit der gemeinsamen Tour sind wir wie Schwestern. Wir haben teilweise ähnliche Erfahrungen gemacht, was die Idealisierung und Stereotypisierung des weiblichen Körpers, aber auch der sentimentalen Frau im Musikbusiness angeht. Wir gehen sehr solidarisch und liebevoll miteinander um.

Dein Sohn Boaz ist sechs. Mag er deine Musik?

Marshall: Nein, er mag sie überhaupt nicht. Schon seit er ein Baby ist, reagiert er mit Missfallen auf meine Songs. Er sagt, meine Musik mache ihn traurig – und er wolle nicht traurig sein. Ich finde das in Ordnung, deshalb singe ich zum Beispiel nie bei uns in der Küche, wenn er dabei ist. Das einzige Stück vom neuen Album, das er ganz gut findet, ist „Pa Pa Power“, weil es eher punkig klingt.

„Pa Pa Power“ stammt ursprünglich von der wenig bekannten Band Dead Man’s Bones, deren Sänger niemand geringeres als Ryan Gosling ist.

Marshall: Genau. Es geht um konstruktiven Aufruhr, um Menschenrechte, Gerechtigkeit und Mitgefühl. „Burn the street, burn the cars“, heißt es im Text. Ich war erst davon ausgegangen, ein Mann kann so etwas Rabiates besser singen. Aber dann habe ich gemerkt, dass mir die Zeilen recht locker von den Lippen gehen.

Macht dich deine eigene Musik denn auch traurig?

Marshall: Nein, ich fühle da nicht wie mein Sohn. Zwar denke ich auch, dass meine Musik im Kern von Melancholie durchzogen ist, doch für mich ist sie eher wie das Licht einer Taschenlampe, die du dir etwa bei einer nächtlichen Wanderung durch den Wald ins Gesicht hältst, damit die anderen dich sehen und keine Angst haben müssen. Ich möchte mit meinen Liedern den Kummer der Menschen lindern. Ich empfinde meine Musik nicht als traurig, sondern als triumphal.

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