Certain Women
Kelly Reichardt macht die derzeit besten US-Independentfilme, einfühlsame, ruhige Geschichten über unabhängige Frauen. Ihr neues Werk „Certain Women“ mit Kristen Stewart und Michelle Williams bietet die Chance, Reichardt endlich zu entdecken.
Das Erste, was an „Certain Women“ auffällt, ist dieses außergewöhnliche Gespür für die Atmosphäre von Orten: winterliche Waldwege in der Morgendämmerung, eine verschneite Farm unter ultramarinblauem Abendhimmel, alles in grobkörnig-warme 16mm-Bilder gefasst. Über Räume integriert uns die Regisseurin („Meek’s Cutoff“) langsam, aber intensiv in die Alltagswelt ihrer Figuren, arbeitet sich sanft von außen nach innen –Reichardts sinnlicher Realismus hat im amerikanischen Independentkino noch immer eine Alleinstellung. Reichardt verwehrt sich weiterhin gegen alles Laute und Überartikulierte, Wo andere ein Ausrufezeichen setzen, agiert sie im Flüsterton. „Certain Women“ erzählt in drei Episoden von pragmatischen, den Umständen auf unterschiedliche Weise trotzenden Frauen: Anwältin Laura (Dern) muss in einer Geiselnahme vermitteln, ein Ehepaar (u. a. Michelle Williams) versucht, an die Natursteine ihres alten Nachbarn zu kommen, die sie für den Hausbau benötigen – und die einsame Pferdepflegerin Jamie (Lily Gladstone) nähert sich der Abendschullehrerin Beth (Kristen Stewart) an. Gerade diese letzte Episode entwirft nicht nur ein eindrückliches Stimmungsbild des ländlichen Montanas im Winter, sondern ist auch die vielleicht anrührendste und zärtlichste (Quasi)Liebesgeschichte der jüngeren Zeit. Indem sich Reichardt von dem Zwang befreit, narrative Eckpfeiler und Charaktermotivationen auf den Punkt bringen zu müssen, kann sie umso genauer hinschauen – keine Regung ihrer Figuren bleibt im Verborgenen, und jede gibt Hinweise auf lauernde Verwerfungen und latente Sehnsüchte. sb
Die Spielzeiten von „Certain Women“ in Ihrer Stadt gibt es hier.