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Chappell Roan: ein Phänomen

Chappell Roan (c) Ryan Lee Clemens

Chappell Roan ist DIE Neuentdeckung 2024. Dabei ist sie gar nicht mehr so neu im Geschäft. Warum hat sie jetzt ihren Durchbruch?

Ihr Album „The Rise and Fall of a Midwest Princess“ beginnt mit einem Appell: „What we really need is a femininomenon!“ Das ist eine Neuschöpfung aus den Worten „feminine“ und „phenomenon“. Und genau das ist Chappell Roan. Die 26-jährige Sängerin wuchs im  konservativen, amerikanischen Missouri auf und entdeckte schon als Teenager ihre Liebe für die Musik. Über Nacht zum Star wurde sie jedoch nicht. Es brauchte mehrere Anläufe, einen geplatzten Plattenvertrag und eine Menge Ausdauer, um dahin zu kommen, wo sie jetzt ist. So richtig bergauf ging es, nachdem sie Pop-Kollegin Olivia Rodrigo auf ihrer „Guts“-Tour unterstützte. Daraufhin fanden Roans Songs immer mehr Gehör. Insbesondere ihre aktuelle Single „Good Luck, Babe!“ startete auf sozialen Medien durch und bekommt Streams in hundertfacher Millionenhöhe. Ihre anstehende Tour ist restlos ausverkauft. Aber was macht die Sängerin so erfolgreich?

 

Quirlige Popmusik mit tiefgründigen Texten

Roans Musik strotzt vor Energie. Sie ist jugendlich und aufregend. Der Sound erinnert teilweise an andere Pop-Queens wie Madonna und Cyndi Lauper. Die Texte sind gespickt mit Humor und Ironie, zum Beispiel in Zeilen wie „Get it hot like Papa John“ (aus „Femininomenon“) und „I heard you like magic/ I’ve got a wand and a rabbit/ So baby, let’s get freaky, get kinky/ Let’s make this bed get squeaky“ (aus „Red Wine Supernova“). Ihr Songwriting ist stark überzeichnet und campy. Nichtsdestotrotz sind ihre Lieder nicht oberflächlich. So geht es in „Good Luck, Babe!“ um eine Person, die unbedingt ihre Homosexualität verdrängen will und deshalb nicht zu ihrer Partnerin steht. Mit einem subtil schnippischen Tonfall singt Roan: „You can kiss a hundred boys in bars/ Shoot another shot, try to stop the feeling“. In der Ballade „Casual“ geht es um ein ähnliches Thema. Der Song behandelt die schmerzhafte Abweisung, die man erfährt, wenn sich jemand nicht auf eine feste Beziehung einlassen will. Mit einer dick aufgetragenen Ironie spielt sie verschiedene Szenarien dieser Situationship durch, immer mit der Frage, ob es immer noch „etwas Lockeres“ sei: „Knee deep in the passenger seat, and you’re eating me out/ Is it casual now?“. Mit diesen Themen spricht sie vielen jungen Menschen, die sich in ähnlichen Lebensphasen befinden, aus der Seele. Produziert wurde „The Rise and Fall of a Midwest Princess“ von Dan Nigro, der zuvor gemeinsam mit Olivia Rodrigo die Charts dominierte. Diese Zusammenarbeit hat wohl auch zum Erfolg des Albums beigetragen.

Queere Ikone für Gen Z

In ihren Songs geht es um queere Liebe, Sexualität und ihre Datingerfahrungen. Die Single „Pink Pony Club“ beschreibt einen Abend in einer Gaybar in Hollywood und die Befreiung, die die Bar für queere Menschen bringt. Sie singt: „And I Heard that there’s a special place/ Where boys and girls can all be queens every single day“. Da sie aus dem konservativen Midwest der USA stammt, hatte Chappell Roan es nicht immer leicht, zu ihrer Sexualität zu stehen. Jetzt kann sie aber nichts mehr zurückhalten. Ihr Erkennungsmerkmal: die extravaganten Drag-Outfits, in denen sie auftritt – von der Freiheitsstatue bis zu Miss Piggy. Sie strotzt vor Kreativität und schlüpft immer wieder in neue Rollen. Dadurch erinnert die Künstlerin an die Anfänge von Lady Gaga, die ebenfalls in der LGBTQ+ Community zu einer wichtigen Persönlichkeit geworden ist. Diese Reichweite nutzt sie auch dazu, politische Statements zu machen. Für eine Pride-Veranstaltung wurde sie ins Weiße Haus eingeladen. Die Einladung hat sie abgelehnt mit den Worten: „We want liberty, justice, and freedom for all. When you do that, that’s when I’ll come.“ Für so viel Rückgrat wird sie mit Fanliebe belohnt.

 

Nahbarkeit trotz Grenzensetzung

Trotz ihrer Extravaganz strahlt Roan eine Nahbarkeit aus. Denn ihre Drag-Persona ist nur eine Kunstfigur, die den Bühnen und roten Teppichen vorbehalten ist. Auf sozialen Medien und in Interviews ist sie weniger verrückt unterwegs. Hier ist sie eine ganz normale Frau in ihren Zwanzigern. Sie spricht unter anderem oft darüber, wie ungewohnt ihre neuerlangte Bekanntheit für sie ist und äußert oft ihre Überforderung damit. Diese Menschlichkeit ist etwas, was im Zeitalter der „relatability“ umso beliebter macht. Gleichzeitig zieht sie aber klare Grenzen und spricht sich für die Privatsphäre von Personen des öffentlichen Lebens aus. Sie gibt zu verstehen, dass Stalking nicht normal sein sollte und Fans keinen Anspruch auf gemeinsame Fotos und Interaktionen mit ihren Idolen haben sollten. Hierfür erntete sie von einigen Personen Unverständnis, da sie sich ja bewusst für einen Beruf in der Öffentlichkeit entschieden habe. Andere bewundern Roan dafür, dass sie so sehr für sich einsteht. Sie spricht Dinge aus, die sich andere vielleicht nicht trauen. Diese Geradlinigkeit lässt sie positiv rausstechen.

 

Chappell Roan bringt alles mit, was ein Popstar braucht: Kreativität, ein musikalisches Talent und eine klare Haltung. Sie reiht sich neben Olivia Rodrigo und Sabrina Carpenter in die neue Generation der Popgirls ein und wir können gespannt bleiben, was die Zukunft bringen wird.

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