Christiane Paul: „Erinnerung hat unterschiedliche Stimmen“
Christiane Paul spielt in Wolfgang Beckers letztem Film „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ an der Seite von Charly Hübner. kulturnews sprach mit ihr über unterschiedlche Erinnerung in Ost und West und über das Vermächtnis Wolfgang Beckers.
Christiane Paul, Regisseur Becker war schon schwer krank, als der Film in die Planung ging, und es war klar, dass es sein letzter Film sein würde. Eine Umsetzung war nur möglich, wenn alle am Drehort an einem Strang ziehen würden. Wie drückte sich das aus Ihrer Sicht im Detail aus?
Christiane Paul: Ich hatte vor allem beim Team den Eindruck, bei den Leuten hinter der Kamera, dass alle da sind wegen und für Wolfgang. Wir hatten ein relativ kleines Team, auch damit wir beweglich und zeitlich flexibel sein und auf etwaige Tagesschwankungen eingehen konnten. Und alle, die da waren, waren für ihn da. Waren da, weil Wolfgang diesen Film gemacht hat. Das hat eine sehr ruhige, liebevolle, sensible und unterstützende Stimmung gebracht. Manchmal gibt es beim Drehen ja so eine Unwucht im Team oder auch Spannungen: Das gab es alles nicht! Alle hatten das Ziel, diesen Film fertig zu machen, so gut es nur irgend geht.

Sie kennen Wolfgang Becker schon lange, haben mit ihm vor 30 Jahren den Film „Das Leben ist eine Baustelle“ gedreht. Über „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ sagten Sie: ,Bei diesem Film dabei sein zu dürfen, hat mich zutiefst glücklich gemacht.‘ Wie empfanden Sie ganz persönlich die Dreharbeiten?
Christiane Paul: Wir haben uns über die Jahre ja immer wieder mal gesehen, hatten dann aber auch lange keinen Kontakt mehr und sind uns im Dezember 2023 bei einer Veranstaltung der Filmakademie über den Weg gelaufen und haben uns im Januar 2024 dann zum Mittagessen getroffen. Wolfgang sprach da auch schon über den Film und erzählte auch, dass er krank sei. Dann rief er mich im Juni an und sagte, er möchte, dass ich die Paula spiele. Vom Drehbuch war ich sofort begeistert, weil es wahrhaft, lustig und unterhaltsam war. Ich sagte: Das ist die Geschichte, die wir jetzt brauchen. Außerdem aber, war es auch die Chance, noch mal mit Wolfang zu arbeiten: Was das dann speziell mit mir gemacht hat, kann ich gar nicht sagen. Ich war einfach nur dankbar und glücklich.
Was haben Sie von der Zusammenarbeit mit Wolfgang Becker mitgenommen, was machte diesen Regisseur aus?
Christiane Paul: Ich glaube, dass jeder großen Respekt vor dem hat, was Wolfgang geschaffen hat. Das sind alles sehr besondere und tolle Filme. Wolfgang Becker ist einer der großen Cineasten, die Deutschland hatte. Aufgrund seiner Liebe zum Detail, seiner besonderen Sicht auf die Dinge, seiner Liebe zu allem, was Film ausmacht – da sind ja auch ganz viele kleine Dinge, die dann ein Gesamtbild ergeben –, und seiner Art und Weise, auf die Figuren zu schauen, war immer klar, dass es so gemacht wird, wie er entschieden hatte. Und ganz konkret bei diesem Film jetzt war auch klar, dass man Wolfgang natürlich bestimmte Dinge abnimmt, um ihn zu unterstützen. Dass individuelle Probleme und (muss kurz lachen) Profilneurosen, die auftreten könnten, eben nicht auftreten. Es ging um eine größere Sache: Wir wollten, dass Wolfgang seinen Film, so wie er ihn möchte, machen kann. Und auch, dass er ihn fertig machen kann.
Die Hauptfigur, der von Charly Hübner gespielte Micha, wird von einem Journalisten zum erfolgreichsten Fluchthelfer der DDR-Geschichte geschrieben und wehrt sich nicht gegen diese Zuschreibung. Der Chefredakteur, bei dem die Artikel erscheinen, macht ihn gar den ostdeutschen Oskar Schindler. Der Film wandelt erfolgreich auf ganz schmalem Grat zwischen Komik und Drama. Wie gelingt ihm das?
Paul: Wolfgang zeichnet aus, dass er für alle Figuren einen liebevollen, verständnisvollen Blick hat. Michas Entscheidung, dem Journalisten nicht zu sagen, dass er überhaupt nicht der Held ist, ist ganz klar keine positive Sache. Aber Wolfang schafft es nicht nur, Micha hier gut rüberzubringen, sondern er schaut etwa auch auf den von Peter Kurth gespielten ehemaligen Stasi-Offizier mit einer Art verzeihendem Wohlwollen oder Verständnis. Wolfgang versteht die Nöte aller Figuren und respektiert sie. Gleichzeitig haben wir ein sehr tolles Drehbuch von Constantin Lieb, mit sehr viel Komik und sehr viel Wahrheit, was natürlich die Grundlage für den Film ist.

Sie spielen mit Paula die Frau, die damals noch als Kind durch Zufall mit der S-Bahn nach Westberlin fahren konnte, die inzwischen Karriere gemacht hat, aber nie den richtigen Mann fand, wie es heißt. Auch als sie sich in Micha verliebt, wird sie getäuscht, denn Micha lügt sie lange an. Was ist die Paula für ein Mensch?
Paul: Es ist tatsächlich ein bisschen schwierig gewesen, gleichzeitig war es auch total toll, man liest es so und denkt: Ach wie schön die Dialoge! (lacht) Dann fängt man mit dem Nachdenken an und versucht die Figur zu kreieren. Dann wird klar, dass die Paula eigentlich eine Phantasie ist! Eine Traumfrau im weitesten Sinne nicht, aber eine Märchenfigur! Die keinen wirklich realen Bezug hat, man kann sie nicht richtig auf reale Beine stellen.
Sie ist aber keine Imagination.
Paul: Stimmt, sie ist irgendwo schon eine reale Person. Aber sie hat damals bei der Fahrt in den Westen irgendwie den realen Boden unter den Füßen verloren und sucht immer noch nach Antworten auf das, was damals passiert ist. Ist es wirklich Micha, der diese Weiche in den Westen gestellt hat? Gleichzeitig muss sie aber verstehen – und das tut sie vielleicht irgendwann auch –, dass es darum gar nicht nur geht. Und dass sie Micha verzeihen sollte, weil er in Not war. Auch in Not ihr gegenüber, weil er sie nicht verlieren will. So wird sie in dieser Geschichte auch ein bisschen erwachsen.
Darf man so hart sein, Micha einen Hochstapler zu nennen?
Paul: Er ist im Grunde ein sympathischer Verlierer, auf eine ganz bestimmte Art. Gleichzeitig hat er das Herz am rechten Fleck, weshalb er so liebenswürdig ist und ihm die Herzen zufliegen. Und er steht vielleicht auch ein bisschen dafür, wie sich ehemalige DDR-Bürger fühlen. Er ist vielleicht eine Identifikationsfigur für Menschen, die es nicht geschafft haben, wo man noch nicht mal weiß, ob es an ihnen liegt oder an den äußeren Umständen. Denn eigentlich hat er ja alles: Fähigkeiten, Herz …
Es geht im Film aber nicht nur um Einzelschicksale. Es wird auch erzählt, wie unterschiedlich Erinnerung sein kann, wie Menschen sich subjektiv unterschiedlich an die Vergangenheit erinnern. Wie unterschiedlich kann Erinnerung denn sein, dass die Unterschiede sogar in Komödien als Spannungsfaktor einfließen?
Christiane Paul: Unser Narrativ wird auch von unserer Vergangenheit, dem was wir erlebt haben, gebildet. Deshalb ist es der richtige Film zur richtigen Zeit, weil wir verstehen müssen, dass Erinnerung, wie Sie sagen, sehr vielfältig ist und sehr viele unterschiedliche Stimmen hat. Dass es nicht darum geht, hier die Hoheit zu haben, sondern dass es Unterschiede gibt zwischen Menschen aus den neuen Bundesländern und den alten Bundesländern, dass dies aber trotzdem ein Land ist. Und dass es eine Verbindung gegen sollte und kann. Dass wir uns trotzdem gegenüberstehen, einander verstehen können, trotz dieser unterschiedlichen Vergangenheiten, mit dem unterschiedlich Erlebten. Ich glaube, dass der Film genau das auch erzählt.
Der Film thematisiert das ritualisierte Erinnern an die DDR-Vergangenheit im Kontext von 30 Jahren Mauerfall. Wird dieses ritualisierte Erinnern der Vergangenheit überhaupt noch gerecht?
Christiane Paul: Ich bin eigentlich ein großer Freund von Ritualen, denn Rituale machen es möglich, einmal außerhalb unseres stressigen Alltags, der ganzen Wahnsinnswelt, die uns umgibt, feste Termine zu haben, zu denen wir uns an Dinge erinnern. Ich halte das für sehr wichtig. Es ist aber auch wichtig, dass wir dort verschiedene Einflüsse mit reinnehmen und verschiedene Geschichten aufnehmen und dass niemand die Geschichte dominiert. Wie die Wiedervereinigung vonstatten gegangen ist aufgrund der geschichtlichen Notwendigkeit, sie war ja kaum anders möglich , – ok. Aber genau das bringt Dinge hervor, die wir jetzt sehen. Politische Veränderungen, die wir jetzt erleben, diese Unzufriedenheit, diese Sprachlosigkeit: Das alles hat ja eine Ursache. Das hat auch damit zu tun, wie Vergangenheit nacherzählt wird, wie Narrative dominiert werden, und dass Menschen nicht zu Wort gekommen sind. Diese Diskussion transportiert der Film neben seiner sehr unterhaltsamen Art als Feel-Good-Movie durchaus auch.
