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Die Entdeckung des Parks

Sandtorpark HafenCity
Wem gehört die Stadt? Gut, wenn Freiflächen zur Verfügung stehen wie hier hinter der Elbphilharmonie. (Foto: Mediaserver Hamburg/Andreas Vallbracht)

Corona hat das Stadtbild radikal verändert – von der Infrastruktur bis hin zur Kultur. Wir haben mit der Soziologin Simone Jung über die Herausforderungen und die aktuellen Chancen des urbanen Wandels gesprochen.

Simone, wie Menschen die Stadt durchqueren, hat die Pandemie auf den Kopf gestellt. Weg vom öffentlichen Nahverkehr, der erst langsam wieder Fahrt aufnimmt, hin zu Pop-up-Radwegen und einem Rekordhoch an Fußgänger*innen. Erschließen wir uns den Stadtraum in Zukunft anders?

Simone Jung: Wenn ich mich da selbst beobachte, dann hat sich die Wahrnehmung geschärft. Sonst ist man viel mehr unterwegs, nun ist man beständiger an einem Ort. Dazu kommt das veränderte Zeitgefühl seit Corona, die Leere in der Stadt, weniger Touristen, weniger Reize, auch als die Geschäfte geschlossen waren, die Restaurants zu – alle öffentlichen Orte also, die man in normalen Zeiten begeht. Man könnte auch sagen das Gesellige fiel weg.

Das sind also ganz andere Bedingungen, wenn man den öffentlichen Raum durchquert. Langsam stellt sich wieder etwas Normalität ein. Von daher ist die Frage nach der Zukunft schwierig zu beantworten. Zum einen gibt es ein stärkeres Bewusstsein, etwa was den allgemeinen Konsum oder die eigene Leistungsbereitschaft betrifft, oder aber konkret die Radwege in der Stadt. Man eignet sich wieder mehr den öffentlichen Raum an. Viele stellen ihren Stuhl auf den Bürgersteig oder spielen auf den Straßen Federball. Zum anderen kehrt mit der Normalität auch der Alltag wieder ein, und das Bewusstsein dafür schwindet.

Am liebsten im Grünen: Soziologin Simone Jung Foto: privat

Wie tief schneidet das Erlebnis der Quarantäne ein? Glaubst du an ein nachhaltig verändertes Nähe-Bewusstsein durch Corona?

Jung: Wie wir uns verhalten und wie wir handeln oder miteinander umgehen, das haben wir uns über eine lange Zeit angeeignet. Das Social Distancing haben wir nun über ein paar Monate trainiert. Manche halten sich weiterhin dran, manche haben es schon gar nicht mehr auf dem Schirm, wenn ich mir das Verhalten in der Bahn oder in manchen Bars und Straßen hier in Hamburg anschaue. Was ich aber damit sagen will: Wie man sich verhält und welche Empfindungen man gegenüber Leuten im öffentlichen Raum hat, ist eine Sache des Trainings und des Einübens von gesellschaftlichen Normen und Regeln.

Es hängt also auch von der Dauer ab, wann ein Impfstoff gefunden und nachhaltig eingesetzt wird. Je länger es dauert, desto mehr gewöhnen wir uns an die Distanz zueinander und die Unsicherheiten in Begegnungen. Ich glaube aber auch, dass wir uns wieder umgewöhnen. Neulich war ich im Golden Pudel Club was trinken und kurz drinnen, um etwas zu bestellen. Es war eine Person im Raum: der DJ. ich habe elektronische Musik gehört, es war ein schöner Moment. Und eigentlich war es wie immer, obwohl es für mich das erste Mal seit Beginn von Corona war, dass ich so etwas wie einen Klub betreten habe. Von daher: Man wird sich auch wieder umgewöhnen und jene Erfahrungen abrufen, die man jahrzehntelang im sozialen Umgang miteinander gemacht hat.

„Orte, wo man sich in seinen Kreisen tiefergehend unterhalten und auseinandersetzen kann … Das fehlt gerade eindeutig“

Wie wird sich das veränderte Stadtbild und die neue Mobilität auf die Kulturlandschaft auswirken? Wird der Radius, in dem wir Kultur entdecken, vielleicht wieder kleiner?

Jung: Das ist eine interessante Frage. Vielleicht erleben wir wieder mehr gemeinsam im öffentlichen Raum. Es kommen mehr unterschiedliche Leute zusammen, man geht nicht mehr primär an spezielle Orte mit spezifischen Menschen, die man als gleich gesinnt betrachtet. Zugleich geht damit natürlich genau das verloren, was diese Orte ausmacht. In dem Buch „Denkräume“, was ich gerade mit meiner Kollegin Jana Marlene Mader bei Rowohlt herausgegeben habe, schreibt Carolin Emcke beispielsweise über Safe Spaces – und damit über Orte, an denen in geschützten Räumen wie queeren Clubs oder Bars Menschen zusammenkommen, die anders aussehen oder begehren. Der Text wurde vor Corona geschrieben, aber bereits hier hat Emcke darauf hingewiesen, dass diese Orte schrumpfen. Nun sind sie zusätzlich gefährdet.

Die Pandemie hat auch deutlich gemacht, wie wichtig freie Räume wie Parks für das städtische Leben sind. Wird es diese Bedürfnisse auch nach Corona noch so verstärkt geben?

Jung: Die Wiederentdeckung der Parks ist ein zentraler Punkt. Was ich beobachte, ist, dass damit auch eine Heterogenisierung der Parks einhergeht, und das wäre eine der schöneren Begleiterscheinungen dieser Zeit. Also, dass unterschiedliche Leute im Park zusammenkommen. Ich habe das kürzlich bei der Michelwiese in Hamburg beobachtet. Da wird im großen oder kleinen Stil gepicknickt, Familien aller Art grillen nebeneinander. Es wird Bier getrunken, Federball gespielt, das Kind schreit, und der Hund kläfft. Das wirkt insgesamt bunter und vielfältiger als sonst, und das ist eine schöne Sache. Eine Frage wäre auch: Nutzt man den Park oder öffentliche Flächen auch zukünftig mehr als Veranstaltungsorte?

Auch dieser Raum würde geteilt werden. Wenn Clubbing, Theater und der Konzertbetrieb etwa alle an denselben Orten stattfinden, begünstigt das einen regeren Austausch?

Jung: Was den Austausch betrifft, glaube ich, dass aktuell mehr unterschiedliche Leute bei kulturellen Ereignissen zusammenkommen und dass eine größere Offenheit gegenüber dem Kulturellen da ist. Man ist vielleicht auch froh, ,irgendwas‘ zu sehen. Das würde dann im besten Fall dazu führen, dass man sich auch mal außerhalb ,seiner Kreise‘ unterhält. Zugleich sind die angeführten Safe Spaces wie der Club immer auch Orte, wo man sich in seinen Kreisen tiefergehend unterhalten und auseinandersetzen kann … Das fehlt gerade eindeutig. Auch das Internationale ist in Clubs stärker vertreten und fällt gerade die veränderten Reisebedingungen eher weg. Denkt man das zu Ende, wäre der Austausch in der Stadt in Zukunft eher aufs Lokale und Private bezogen und weniger heterogen. Das wäre eine Verengung und für die Kultur eine weniger schöne Vorstellung, gerade wenn man an den Winter denkt.

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