Danny Boyle
Nach dem rauschartigen Trip „Trainspotting“ kam für Regisseur Danny Boyle schnell der Kater: Die Folgefilme glichen einem kalten Entzug, sie floppten. Im Horrorthriller „28 Tage später“ kehrt er zur Abgründigkeit seiner Anfänge zurück: Durch einen Virus fängt die Menschheit an, sich selber auszurotten. Apokalypse pur. Für Boyle auch ein Weg, endlich mit dem Shoppen aufzuhören.
kulturnews: Mr. Boyle, zuletzt haben Sie mit Leonardo DiCaprio „The Beach“ gedreht. Nun haben Sie absolut unbekannte Schauspieler besetzt. Warum?
Danny Boyle: Mir gefiel die Vorstellung, dass der Mann, der zu Beginn im Krankenhaus erwacht, jedermann sein könnte. Er ist nackt, besitzt nichts und ist vollkommen ahnungslos. Der Zuschauer ist in der gleichen Position. Hätte ich die Rolle mit einem Star besetzt, würde man als Zuschauer sofort davon ausgehen, dass es für ihn gut ausgehen muss. Doch bei jemandem, den man nicht kennt, sind die Dinge offen…
kulturnews: Wollten Sie auch selber wieder mehr Anerkennung abkriegen, die zuletzt Superstar DiCaprio zufiel?
Danny Boyle: Na ja, das Tolle ist, dass ein Star auch die ganze Verantwortung für den Film trägt! (lacht) Es ist doch so: Wenn du einen Film machst, der 50 Millionen Dollar kostet, brauchst du einen Star, der die Leute ins Kino zieht, damit die Sache finanziell überhaupt auf festen Füßen stehen kann. Natürlich werde ich neben so jemandem eher zur Randfigur, aber auf der anderen Seite wird mein Film auf der ganzen Welt gezeigt. Das ist toll.
kulturnews: Warum beschäftigen sich so gern mit apokalyptischen Szenarien?
Boyle: Mich reizt die Konsumgesellschaft. Jenseits der klassischen Schichten ist ein neues gesellschaftliches Segment entstanden, das wir in England die High Street nennen – die Konsumenten.
kulturnews: Zählen Sie sich selbst auch dazu?
Boyle: Ja, ich gehe für mein Leben gern shoppen und zwar um des Kaufens selbst willen. Es ist zu einer Art Ritualhandlung geworden. Früher ist man in die Kirche gegangen, heute fährt man ins Einkaufszentrum. Und ich bewege mich nur deshalb so sicher in diesem Thema, weil ich fürchte, ich gehöre längst selber zu dieser Schicht.
kulturnews: Und deshalb zerstören Sie das alles lustvoll in einer allumfassenden Apokalypse?
Boyle: Das ist doch eine wunderbare Art, sich des ganzen Krams wieder zu entledigen! (lacht)
kulturnews: „28 Tage später“ ist aber auch ein Film über die gegenseitige Zerstörungswut der Menschen.
Boyle: Das ist mein Punkt: Gewalt steckt in jedem von uns. Das ist keine Infektion, die uns von außen befällt, sondern sie ist Teil unserer Existenz. Jeder von uns ficht doch in seinem Innern ständig den Kampf der guten mit der bösen Seite aus. Ich finde, alle meine Filme sind in diesem Sinn sehr moralisch. Die meisten finden sie zynisch, aber das sind sie keineswegs – ich finde sie sogar fast altmodisch, im moralischen Sinn.
kulturnews: Sind Sie eigentlich ein Horror-Fan?
Boyle: Nein, überhaupt nicht, aber mein Autor Alex Garland ist ein Fan und Kenner dieses Genres. Das war vielleicht eine ganz clevere Mischung. Mein Hauptaugenmerk lag darauf, die ganze Sache so realistisch wie nur möglich zu machen.
kulturnews: Wie ist es Ihnen gelungen, aus London eine menschenleere Stadt zu machen?
Boyle: Das war nicht schwer. Wir haben sehr enge Blickwinkel gewählt und viele kleine Ausschnitte aneinandergereiht, so dass das Gefühl entstand, die Stadt sei menschenleer. Noch toller aber war die Sache mit der Autobahn. Die Polizei hat sie für ein paar Minuten blockiert, und über den gruseligen Anblick einer normalerweise ständig verstopften Autobahn, die total verwaist ist, hätten wir um ein Haar zu drehen vergessen!
kulturnews: Sie hatten den Film zur Hälfte im Kasten, als mit den Anschlägen vom 11. September eine echte Apokalypse stattfand. Wie fühlten Sie sich?
Boyle: Ich erinnere mich an das schreckliche Gefühl der Redundanz an diesem Tag. Unsere Arbeit wirkte plötzlich lächerlich, ich fand meinen Job entsetzlich bescheuert. Erst später wurde mir klar, dass das die Wahrnehmung des Films verändern würde. Vorher gab es Assoziationen wie die Maul- und Klauenseuche oder BSE, nun kamen ganz andere Dinge ins Spiel.
Interview: Nina Rehfeld