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David Foster Wallace: Der bleiche König

Die meisten Rezensionen zu „Der bleiche König“ haben miteinander gemein, sich erst einmal umständlich am mittlerweile beträchtlichen Nimbus seines 2008 aus dem Leben geschiedenen Autors abzuarbeiten. Diese unvermeidliche Aufgabe wird hier daher gleich zu Beginn erledigt, und zwar mit der Behauptung, dass die literarische Bedeutung von David Foster Wallace auch über die Zuschreibung „größter Schriftsteller seiner Generation“ hinaus gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann – und sein Fragment gebliebenes Vermächtnis einen wesentlichen Teil zu dieser Einschätzung beiträgt.

In nur lose miteinander verknüpften Episoden wird von mehr als einem Dutzend Figuren erzählt, die es auf verschlungenen Pfaden an ein ländlich gelegenes Regionalprüfungszentrum der amerikanischen Steuerbehörde verschlagen hat, wo sie sich tagein, tagaus an ihre normierten Schreibtische setzen, um unter dem grausigen Licht der Leuchtstoffröhren Steuererklärungen zu prüfen. Das mag wie der Literatur gewordene Albtraum des vermeintlich selbstverwirklichten, nonkonform-hippen Individuums der Spätmoderne wirken – und tatsächlich: „Der bleiche König“ ist eine gut 600-seitige Meditation über unerträgliche Langeweile, sinnlose Komplexität und lähmenden Stumpfsinn: Über Seiten hinweg wird der Leser hier mitunter mit obskuren steuerrechtlichen Details, bürokratischem Firlefanz und endlosen erzählerischen Abschweifungen traktiert, die noch dazu in anacondaesk verschlungenen Schachtelsätzen aneinandergereiht werden.

Paradoxerweise ist das alles weder langweilig noch deprimierend, sondern ganz im Gegenteil anregend, berührend und ermutigend, vielleicht sogar das Beste, was Wallace je geschrieben hat. Nicht nur, weil er hier sein ganzes virtuoses Können als Literat noch einmal aufzeigt: „Der Bleiche König“ gibt seinen Lesern gleichsam die unaufdringliche Einladung zur Selbstermächtigung mit auf den Weg, sich durch erhöhte Achtsamkeit und Anteilnahme aus dem Wachkoma ewiger egozentrischer Selbstbespiegelung zu befreien. Dass Wallace dem Leser dafür ein besonders hohes Maß an konzentrierter Aufmerksamkeit abverlangt, ist nur konsequent.

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