Denis Villeneuve ist mit „Dune: Part two“ superfolgreich – aber auch immer schlechter?
Denis Villeneuves „Dune: Part two“ ist jetzt als digitaler Download zu kaufen. Doch der Regisseur ist nicht mehr so gut wie sein Erfolg, finden wir.
„Dune: Part two“ ist jetzt bei den gängigen Anbietern zum digitalen Download zu kaufen – nun könnt ihr auch zu Hause oder unterwegs schauen, wie es nach Dune (2021) mit dem Schicksal des Wüstenplaneten und des auserwählten, übermenschlichen Erlösers Paul Atreides, gespielt von Thimothée Chalamet, weitergeht. Schließlich hat der kanadische Regisseur Denis Villeneuve den als unverfilmbar geltenden, legendären Science-Fiction-Roman von Frank Herbert für die Leinwand gezähmt. Doch bedeutet der Hype und Erfolg an den Kinokassen automatisch, dass Villeneuve, der vorher schon mit der Fortsetzung „Blade Runner 2049“ einen anderen heiklen, von Filmfans geliebten Stoff angepackt hatte, auch einen großartigen Film gedreht hat – und generell mit seinen Aufgaben wächst?
Ist Denis Villeneuve ein zweiter Christopher Nolan?
Nicht wenige Anhänger von Denis Villeneuve und auch zahlreiche Kritiker sehen auffällige Parallelen zwischen ihm und Christopher Nolan: Beide vermögen es, anspruchsvolle Geschichten und innovative Bildwelten zu Kassenknüllern zu verbinden. Doch genau wie Nolan gerne zeigt, wie klug er ist und Filme wie „Tenet“ oder „Interstellar“ bis zur totalen Verkopfung überfrachtet, hat Villeneuve in seinen Filmen im Laufe seiner Karriere die Bilder immer mehr über die Story siegen lassen: Style over Substance ist die Formel für „Blade Runner 2049“, in dem ein durchkomponiertes, digitales Set das nächste ablöst und dazwischen dieselbe gähnende (narrative) Leere herrscht wie im Gesicht von Ryan Gosling als Replikant auf der Jagd nach Replikanten (oder sich selbst?). Fun Fact: Nolan hat seine Bewunderung für Villeneuves „Dune“-Filme deutlich zum Ausdruck gebracht.
Mit ihren außerirdischen, fantastischen Handlungsorten sind „Dune“ und „Dune: Part two“ natürlich auch ein Fest für die Augen geworden. Aber auch hier murmeln die Figuren zwischen den ausgewalzten Monumentalaufnahmen von gigantischen Wüstenbauten und riesigen Wüstenwürmern nur einige wenig pointierte Sätze, bevor Villeneuve wieder minutenlang der Bildebene das Vorrecht einräumt, in der einige Figuren schlicht verlorengehen. Vielleicht ist der Kanadier auch zu sehr Fanboy, um hier effektiv erzählen zu können. Auf jeden Fall hat er Bilder und Geschichte in seinen früheren Filmen ausgewogener miteinander verbunden.
Ein kurzer Blick in Denis Villeneuves Filmografie zeigt: Er konnte es mal besser – und stand eigentlich immer schon auf tolle Bilder.
Nach dem Zweitling Maelström im Jahr 2000 zieht er sich trotz 23 (!) Auszeichnungen für neun (!) Jahre aus dem Filmgeschäft zurück, so unzufrieden ist er mit seinem Drama. 2009 kehrt er mit dem denkbar herausfordernsten Projekt zurück: Polytechnique handelt vom Massaker, das ein frauenhassender Incel-Mann 1989 an der Polytechnischen Hochschule in Montreal verübte. 14 wehrlose Frauen erschoss der Attentäter, 14 weitere Menschen verletzte er. Villeneuve geht diese eigentlich unverfilmbaren Ereignisse mit einer mit größter Vorsicht erreichten Einheit aus Bild und Erzählung an: Er wählt einfache Schwarz-Weiß-Bilder, die sich ausschließlich auf die Opfer konzentrieren, dem Täter gibt Villeneuve keinen Raum. Er erzählt den Tathergang nicht chronologisch und teils aus verschiedenen Blickwinkeln.
Die Frau, die singt (2010) brachte Villeneuve eine Nominierung für den Oscar als Bester fremdsprachiger Film 2011 ein. Es geht in dem komplexen Film um ein Geschwisterpaar, das sich nach dem Tod der Mutter auf die Spur ihres früheren Lebens im Nahen Osten macht und zahlreiche unerwartete und schockierende Wahrheiten über die Vergangenheit ihrer Mutter herausfindet. Es geht um Schuld, Tod und die furchtbaren Folgen von (Bürger)Krieg für die Menschen und ihre Leben über Generationen. Villeneuves Blick ist sachlich, ähnlich wie beim Vorgängerfilm. Hier steht seine Geschichte im Mittelpunkt.
Jake Gyllenhaal x 2 in „Enemy“
Bei Enemy, Villeneuves erstem englischsprachigen Film, war es 2013 dann genau andersherum: Jake Gyllenhaal spielte in gelb eingefärbten, alptraumhaften Bildern von Toronto die Doppelrolle von Adam und Anthony, die exakt gleich aussehen, von ihrer jeweiligen Existenz erfahren und dann unheilvoll beginnen, ihre beide Leben miteinander zu verknüpfen. Dazu stapft eine riesige Spinne durch die Stadt. Sonst versteht man auch nicht viel. Ästhetik rules – ein Film, den man als Bullshit wegzappt oder als Arthouse-Perle wertschätzt.
„Prisoners“, der erste große Film in Hollywood
Prisoners (2013) ist ein mit Stars wie Hugh Jackman, erneut Jake Gyllenhaal und Paul Dano (There will be Blood) besetztes Geisel- und Serienkillerdrama. So ein wenig zeigt sich hier schon Villeneuves Schwäche für überlange Filme, lange Szenen und einen insgesamt langsamen Handlungsverlauf. Doch „Prisoners“ ist so tight und packend inszeniert, in der Story greift ein Rad so perfekt ins nächste, die Twists sind so gut, dass das gar nicht groß auffällt. Der Film tariert Ästhetik und Narration gut aus.
Musik und Bilder, die in die Glieder fahren: „Sicario“
Dann kamen Villeneuves beste Filme, darunter sein bisheriges Meisterwerk. Sicario von 2015 ist mit Villeneuves suggestiven Bildern und dem permanente Spannung und fast einen Klumpen im Magen hervorrufenden Score des isländischen Komponisten Jóhann Jóhannsson ein Klassiker des Drogenthrillers. Emily Blunt wird darin als junge FBI-Beamtin, die in den Krieg zwischen der CIA und den Drogenkartellen gerät, um ihre Ideale gebracht. Villeneuve spielt seine Fähigkeit hier voll aus, bestimmte Szenen visuell anders, innovativer und dräuender inszenieren zu können als der normale Hollywoodregisseur.
Atemberaubend und meisterlich: „Arrival“
Arrival ist Villeneuves schöpferischer Höhepunkt. Ein intelligenter, packender Science-Fiction-Film über eine Linguistin (Amy Adams), die versucht, die Sprache der Aliens, die gelandet sind, zu verstehen und sich verständlich zu machen, damit das Militär die Besucher nicht vorsorglich angreift. Jóhannssons mit Alarmsirenen versehene Musik, Villeneuves erzählerische Ruhe, seine grandiosen, stimmungsvollen Bilder, die einen in den Film und die Anspannung der Figuren hineinsaugen, die großartige Adams, die ausgefeilten Dialoge, die komplexe, aber nie unverständliche, poetische Geschichte über Sprache, Menschlichkeit, Zeit, Frieden und Verlust – das alles verdichtet sich zu einem modernen Klassiker. Einem Film, den man so noch nie gesehen hat.
Auf den Sanddünen von „Dune: Part two“ bergab
Tja, und dann kamen „Blade Runner 2049“ und „Dune“ und „Dune: Part two“, und Denis Villeneuve hatte plötzlich ein Vielfaches des gewohnten Budgets zur Verfügung. Das investiert er seitdem vor allem in die Kreation spektakulärer Bilderwelten und ins Worldbuilding und ist seitdem ganz verliebt in seine visuellen Schöpfungen. Er hat ganz vergessen, dass Bilder im Kino im Dienste einer Geschichte stehen sollten, und es im Mainstreamkino anders herum nicht funktioniert. Ohne starke Story sind auch die geilsten Bilder nur Abbildungen. Und der Bombast von Hans Zimmer ist auch kein Ersatz für die feinsinnige, moderne Musik des zu früh verstorbenen Jóhann Jóhannsson.
Was Villeneuve gemacht hat, ist ein bisschen, als würden wir nach großem beruflichen Erfolg und einer Beförderung unsere Partner nur noch nach dem Äußeren aussuchen – und nicht mehr auch nach dem, was sie zu sagen haben. Sicher ist: Der neue Status als A-Regisseur in einem krass risikofreien Hollywood tut ihm kreativ nicht gut, vor allem die Wunschprojekte seiner Kindheit und Jugend fortzusetzen oder neu zu verfilmen, auch nicht. Das Kino ist keine Comic-Con. Sicher sind Villeneuves Blockbuster den generischen Marvel-Filmen weit überlegen, aber seien wir mal ehrlich: Selbst ein nicht gedrehter Marvel-Film ist einem Marvel-Film zurzeit überegen.
Zumindest hat Denis Villeneuve das zum Teil selber auch erkannt: Nach dem nächsten „Dune“-Teil „Messiah “soll Schluss sein mit Frank Herbert. Und der Regisseur hat auch andere geplante Projekte. Wir bitten darum! Damit sein großes Können nicht ganz versandet, wortwörtlich …