„Die Königsmörder-Chronik“ von Patrick Rothfuss: Lohnt die Serie auch ohne „Doors of Stone“?
Wie George R.R. Martins „Die Winde des Winters“ bleibt das Ende der Königsmörder-Chronik bis heute aus. Was kann die Serie ohne ein Ende?
Neben Patrick Rothfuss hat wohl nur ein anderer Autor so viel zweifelhaften Ruhm für eine unvollendete Fantasy-Serie geerntet: George R.R. Martin. Wie Martins Serie „Das Lied von Eis und Feuer“ bleibt auch „Die Königsmörder-Chronik“ bis heute unvollendet. Der dritte Teil, dessen Arbeitstitel „The Doors of Stone“ durch über ein Jahrzehnt aus Spekulationen und Drama mittlerweile gesetzt sein dürfte, bleibt bis heute aus.
Wir werfen den Blick zurück auf die ersten beiden Teile, „Der Name des Windes“ und „Die Furcht der Weisen“, und stellen die Frage: Lohnt es sich überhaupt, die Serie anzufangen, wenn ein dritter Teil mit jedem weiteren Jahr unwahrscheinlicher scheint?
Die Königsmörder-Chronik Teil 1: „Der Name des Windes“
Im Rückblick scheint der Erfolg von Patrick Rothfuss’ Debüt fast selbstverständlich: „Der Name des Windes“ ist ein extrem origineller, überaus ambitionierter Fantasy-Roman, der zu einer Zeit, in dem das Genre sich selbst reflektierte, fast schon pathologisch Fantasy-Tropen dekonstruiert. Das zeigt sich schon ganz zu Beginn, in der Rahmenhandlung. Rothfuss erzählt die Geschichte des legendären Abenteurers Kvothe, der sich unter dem Namen Kote als Gasthaus-Besitzer im ländlichen Nirgendwo versteckt, als Rückblick.
Kote diktiert seine Lebensgeschichte einem reisenden Schreiber, der sich selbst der Chronist nennt, und wird dabei zum Entzauberer seiner eigenen Geschichte: Denn bereits zu Beginn seiner Erzählung macht er deutlich, dass viele der Legenden, die sich um seine Abenteuer ranken, nicht das sind, was sie scheinen.
Als Teil einer Gruppe fahrender Spielleute, die den Sinti und Roma nachempfundenen Edema Ruh, lernt Kvothe schon früh, sich selbst darzustellen, als Sänger, Musiker, Geschichtenerzähler und Schauspieler. Als seine Familie den fahrenden Arkanisten Abenthy, kurz Ben aufnimmt, lernt er von ihm die Magie der Sympathie – eine Form der willentlichen Aussetzung der Ungläubigkeit.
Indem ein Zauberer sich selbst davon überzeugt, dass etwas Unmögliches trotz allem möglich ist, kann er Magie wirken. Es gibt allerdings noch eine zweite, wildere Form der Magie: die Namenskunde. Wer den wahren Namen einer Sache sehen und ihn sprechen kann, hat Macht über sie.
Eine Geschichte über Geschichten
Ihr seht schon, wo das hinführt: „Die Königsmörder-Chronik“ ist in ihrem Herzen eine Geschichte über Geschichten. Darüber, wie Wahrnehmung und Erwartungshaltung uns in die Irre führen können. Das sehen wir in Kote, dem gebrochenen Mann, der immer wieder darauf besteht, dass seine Geschichte eine Tragödie ist, und andeutet, dass sein jugendlicher Übermut die Welt von Temerant an den Rand des Abgrunds gebracht hat.
Dieses Element findet sich natürlich auch in den Antagonisten der „Königsmörder-Chronik“: Die Chandrian, eine siebenköpfige Gruppe, die allgemein als Geistergeschichte abgetan werden, ermorden Kvothes Eltern. Denn Kvothes Vater Arliden hat die wahre Geschichte der Gruppe herausgefunden und hatte vor, diese in einem Lied zu erzählen.
Aus unerfindlichen Gründen verschonen die Chandrian Kvothe – der daraufhin schwört, sich an der Gruppe zu rächen. Bevor er das allerdings tun kann, muss er lernen, die Magie der Sympathie und der Namenskunde zu beherrschen. Und das ist vielleicht der Punkt, an dem die „Königsmörder-Chronik“ erste Risse aufweist.
Die Königsmörder-Chronik Teil 2: „Die Furcht der Weisen“
Denn so ambitioniert und interessant die Motive sind, mit denen Rothfuss in „Der Name des Windes“ arbeitet, in den ersten beiden Teilen der „Königsmörder-Chronik“ passiert, was die zentrale Handlung der Geschichte angeht, nicht wirklich viel.
Stattdessen verbringt Kvothe einen Großteil der ersten beiden Bücher (die im Übrigen sehr lang sind) damit, das nötige Geld aufzubringen, um die Universität zu besuchen. Dort kann er nicht nur Sympathie und die Namenskunde lernen – die Universitätsbibliothek ist auch der vermutlich einzige Ort in Temerant, an dem er Informationen über die Chandrian finden könnte.
In der zweiten Hälfte von „Der Name des Windes“ und über die gesamte Länge von „Die Furcht der Weisen“ erfährt Kvothe nur sehr wenig über die Chandrian. Stattdessen trägt er eine Fehde mit Ambrose aus, dem hochnäsigen Sohn eines Adeligen, der mit ihm die Universität besucht.
Er findet Freundschaft in seinen Mitschülern Willem und Simmon, Fela und Mola, gerät in Geldnot, verstrickt sich in Schwierigkeiten, um seine Ausbildung zu finanzieren. Er verscherzt es sich mit dem Bibliotheksleiter und versucht händeringend, wieder Zutritt zur Bibliothek zu bekommen. Und er verliebt sich.
Die Liebe zwischen Kvothe und Denna, die er schon während seiner Zeit als fahrender Spielmann kennengelernt hat und auf die er immer wieder wie durch Zufall trifft, steht unter einem schlechten Stern. Ständig verstehen sie sich falsch oder verpassen sich knapp – und im Zuge von „Die Furcht der Weisen“ wird Denna zu Kvothes Gegenspieler.
Unter der Leitschaft eines mysteriösen Mäzens recherchiert Denna, die ebenfalls eine begabte Musikerin wie Kvothe ist, die Geschichte der Chandrian – porträtiert sie allerdings als tragische Held:innen. Für Kvothe, der nach wie vor auf Rache aus ist, bedeutete das den endgültigen Bruch mit Denna.
Was ist das Drama um „The Doors of Stone“?
Wenn diese Geschichte, so nacherzählt, etwas durcheinander wirkt, dann nicht nur, weil im Interesse der Zeit und der weitestgehenden Spoilerfreiheit sehr viele Aspekte unter den Tisch fallen mussten. Tatsache ist, dass Patrick Rothfuss in den ersten beiden Teilen der „Königsmörder-Chronik“ vor allem damit beschäftigt ist, Fragen zu stellen.
Mysterien werden aufgebaut und vertieft, aber nicht final beantwortet. Das hat Rothfuss gemein mit George R.R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“, auf dessen sechsten Teil „Die Winde des Winters“ wir mittlerweile seit 13 Jahren warten – genauso lang also wie auf Teil drei der „Königsmörder-Chronik“.
Was die Wartezeit – und den Ruf von Autor Patrick Rothfuss – noch mehr leiden lässt, ist die Kommunikation rund um den bisher verschollenen Abschluss der Trilogie. Rothfuss hatte, ähnlich wie Martin, schon zu Beginn der Trilogie angekündigt, die ganze Geschichte bereits ausgearbeitet zu haben.
Die drei Teile der „Königsmörder-Chronik“ sollten jährlich erscheinen – eine Behauptung, die heute beinahe lächerlich wirkt. Stattdessen wurde schon Teil zwei mehrfach verschoben, ehe „Die Furcht der Weisen“ schließlich vier Jahre nach „Der Name des Windes“ erschien.
Je länger die Fangemeinde auf „The Doors of Stone“ warten musste, desto lauter wurden die Fragen nach dem geplanten Erscheinungsdatum. In der Zwischenzeit gab Patrick Rothfuss mehrfach Updates über Twitter, heute X, und auf seinem Blog. Diese Updates reichten von Bildern vollständiger Manuskripte, die suggerierten, das Buch sei quasi schon fertig, bis hin zu Vertröstungen, die klarstellten: Das Buch, in welcher Form es auch immer zu diesem Zeitpunkt existiert haben mag, genügte Rothfuss’ Ansprüchen noch nicht.
Vor vier Jahren wurde dann mehr oder minder offiziell, was Fans schon langsam zu befürchten begonnen hatten. Betsy Wollheim, Rothfuss’ Lektorin beim Verlag DAW Books, ließ auf Facebook ihrer Frustration darüber freien Lauf, dass „Doors of Stone“ immer noch nicht erschienen war. Der Post ist mittlerweile gelöscht worden, allerdings hier auf Reddit nachzulesen.
Was wie die Beschwerde eines Fans klingen mag, war allerdings mehr die Frustration einer Geschäftsfrau. Die Corona-Pandemie war für viele Unternehmen schwer, und DAW Books war, wie Wollheim selbst sagte, auf große Autoren wie Rothfuss angewiesen, um kleinere Autor:innen mitzutragen und nicht Pleite zu gehen. Wollheim gab an, bisher nicht ein Wort des dritten Teils von „Doors of Stone“ zu Gesicht bekommen zu haben. Zwei Jahre später wurde DAW Books an Astra Publishing verkauft.
Fazit: Lohnt es sich überhaupt, „Die Königsmörder-Chronik“ zu lesen?
Kommen wir zurück zur Eingangsfrage, und leider müssen wir hier die schlimmste Form der Nicht-Antwort geben: It depends. Denn obwohl „Der Name des Windes“ und „Die Furcht der Weisen“ auch heute noch extrem originelle Fantasy-Geschichten sind, die weit über dem Genre-Durchschnitt mit unglaublich spannenden Motiven arbeiten, ist die Leerstelle, die „Doors of Stone“ lässt, einfach zu groß.
Wer große Freude daran hat, die vielen Hinweise, die die ersten beiden Teile bieten, zusammenzusammeln, um über das geplante Ende der Story zu spekulieren, der findet neben dem bereits erwähnten „Lied von Eis und Feuer“ vielleicht keinen größeren Spaß in der Fantasy-Literatur als „Die Königsmörder-Chronik“.
Wer aber eine kohärente Geschichte mit einem Ende braucht, der sollte diese Trilogie unbedingt meiden. Denn so spannend die ersten beiden Teile sind, wird beim Revue-passieren-Lassen der Lektüre immer deutlicher, wie wenig Teil eins und Teil zwei tatsächlich erzählen. Und von der Geschichte, die immer wieder andeutet, wie groß und wichtig sie noch werden wird, bleibt nicht viel mehr zurück als ein paar Vignetten. Vielleicht ist das ja die ultimative Dekonstruktion?