Die Verführten
„Lost in Translation“-Regisseurin Sofia Coppola erzählt eine düster-sinnliche Geschichte über eine Gruppe von Frauen, einen Mann und was verdrängte Begierde anrichten kann.
Gibt es überhaupt jemanden im Coppola-Clan, der noch nichts mit Film zu tun hatte? Francis Ford Coppola schuf Klassiker wie „Der Pate“ und „Apocalypse now“, seine Ehefrau Eleanor Coppola ist ebenfalls Regisseurin („Paris kann warten“, Kinostart am 13. 7.); Enkelin Gia drehte 2013 mit „Palo Alto“ ihr bemerkenswertes Debüt, auch Neffe Christopher dreht mäßig erfolgreich, aber beständig Filme – und über dessen Bruder Nicolas Cage muss man wohl keine Worte verlieren. Zum Klingen bringt den Namen, der mit dem Kino verbunden ist wie kaum ein anderer, aber vor allem Francis Fords Tochter Sofia Coppola: Als Regisseurin besitzt sie beinahe Popstar-Status.
Doch das Etikett „Tochter von“ barg früher in der männerzentrierten Filmwelt auch Schattenseiten: Für Nebenrollen in Filmen ihres Vaters erntete Coppola Häme, 1991 gekrönt von zwei Auszeichnungen mit dem Antipreis Goldene Himbeere für ihren Part in „Der Pate III“. Es war wohl die richtige Entscheidung, erst mal die Reißleine zu ziehen und in Japan ein Modeunternehmen zu gründen – vor allem, weil ihre Erfahrungen als Amerikanerin allein in Tokio schließlich zu ihrem Durchbruch mit „Lost in Translation“ (2003) führten. Ihre Affinität zur Mode wiederum verarbeitete die Regisseurin 2006 im barocken Popfilm „Mario Antoinette“, der die französische Königin zur Vorläuferin heutiger It-Girls stilisierte – denen sie später mit „The Bling Ring“, in dem Teenager in die Villen von Paris Hilton und Co. einbrechen, tatsächlich einen Film widmete.
Zwei Blicke in goldene Käfige, einer von innen, einer von außen. Beide Filme mussten sich den Vorwurf der Oberflächlichkeit gefallen lassen, doch auch durch sie ziehen sich die roten Fäden von Coppolas autobiografisch gefärbter Filmografie: die Beengungen des Ruhms, gesellschaftliche Gefängnisse – symbolisiert durch Hotelflure („Somewhere“) oder die viel zu weißen Fassaden der Vorstadthäuser in Coppolas Regiedebüt „The Virgin Suicides“. Ihr neuer Film „Die Verführten“ schließt nun den thematischen Kreis zu ihrem elegischen Erstling: Beide Filme handeln von Mädchenkollektiven, die von der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an ihre Sexualität und ans Frausein an sich erdrückt werden. Das Scheitern der Revolte in „The Virgin Suicides“ ließ für die Lisbon-Schwestern nur die Ausflucht in den Tod zu, während die Machtverschiebungen zwischen den Geschlechtern in „Die Verführten“ nun tatsächlich zum Empowerment führen. Dass Sofia Coppola dafür jüngst als zweite Frau überhaupt den Regiepreis des Filmfestivals von Cannes gewann, das könnte kaum passender gesetzt sein – und übrigens hat sie den auch allen anderen Familienmitgliedern voraus. sb
kulturnews-Kritik zu „Die Verführten“
Mit ihrem neuen Film „Die Verführten“ schließt Sofia Coppola den thematischen Kreis zu ihrem Erstlingswerk „The Virgin Suicides“. Beide Filme handeln von Mädchenkollektiven: In „The Virgin Suicides“ wurden die fünf Schwestern von der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an ihre Sexualität und ans Frausein an sich erdrückt, in der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Thomas Cullinnan nun dient ein Südstaaten-Mädchenpensionat im Jahr 1864 als Safe Space vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Doch in der völligen Isolation bleibt den Bewohnerinnen (unter anderem Nicole Kidman, Kirsten Dunst, Elle Fanning) auch jede Möglichkeit zur freien Entfaltung verwehrt – und als der verwundete Yankee-Soldat John McBurney (Colin Farrell) in das vermeintliche Idyll eindringt, wird er zur Projektionsfläche nicht gemachter Erfahrungen und ungestillter Sehnsüchte … Von der dezidiert weiblichen Sicht auf den Stoff, die Coppola im Vorfeld ankündigte, merkt man überraschend wenig. Inhaltlich und perspektivisch fügt die Regisseurin Don Siegels brillanter Erstverfilmung mit Clint Eastwood von 1971 nichts hinzu, mehr noch: Durch Auslassungen und Verkürzungen nimmt sie der Konstellation einiges von ihrer Explosivität, die sich am Ende zwar heftig, aber nur kurz entladen darf. „Betrogen“ war nicht nur rauer, sondern machte die Entstehung und Verschiebung von geschlechtlich konnotierten Machtverhältnissen auch nachvollziehbarer, während sie hier nur unter der Oberfläche brodeln. „Die Verführten“ funktioniert vielmehr als reiner Stimmungsfilm, auch da ist Coppola ganz nah an ihrem elegischen Debüt: Der abgeschiedenen Southern-Gothic-Kulisse, in der sich das Sonnenlicht malerisch den Weg durch die Äste bahnt und von darunterliegenden Nebelschwaden verschluckt wird, verleiht sie den Charakter eines dunklen Märchenortes. Indes gemahnt aus weiter Ferne das Grollen des Krieges an die näherrückende Realität … In „Die Verführten“ scheint die Handlung zweitrangig, stattdessen ist Coppolas Film mit seiner impressionistischen Schönheit und seinem flüsternden Horror in erster Linie Kino – in einer sehr ursprünglichen Form, die, so scheint es, auch ganz ohne Dialoge seine umhüllende Wirkung erzielen würde. sb
Die Spielzeiten von „Die Verführten“ gibt es hier.