Dietmar Dath: Leider bin ich tot
„Wir glauben nicht, was das schlechte traditionelle Erzählen glaubt. Dass man die Sachen auf eine Perlenschnur gezogen kriegt. Das Grundprinzip ist: Ein Nacheinander gibt es nicht. Niemals.“ Diese Worte legt Dietmar Dath, FAZ-Redakteur und Schriftsteller mit einer Schwäche für Science-Fiction, einem Charakter seines neuen Buchs in den Mund. Sie umschreiben perfekt Motiv und Struktur des Romans „Leider bin ich tot“, in dem mehrere Einzelschicksale miteinander verwoben sind. Dabei werden Raum- und Zeitkonstellationen von Dath immer wieder gewechselt, von seinen am Ende auftretenden Zauberwesen sogar transzendiert. Der Plot wirkt verknotet, was dem Lesevergnügen aber dank lebhafter Dialoge keineswegs im Weg steht. Eine grobe Übersicht: Wolf, Nasrin und ihr Bruder Abel kennen sich seit der Kindheit, doch ihre Lebenswege trennen sich schnell. Wolf wird Pfarrer, der Atheist Abel erfolgreicher Filmregisseur und die gläubige Nasrin als potentielle Islamistin inhaftiert. Dabei plante sie mit ihrem Mann keineswegs einen Anschlag, sondern hat durch Eingebung und akribische Forschung herausgefunden, dass natürliche Systeme wie zum Beispiel das Wetter über eine Art Eigenleben verfügen, das auf menschliche Berechnungen als eigenständige Intelligenz reagieren kann. Das wirklich Unheimliche daran: Mystik und Rationalität stehen sich hier nicht mehr als Gegensatz gegenüber. Nasrin steht zu diesen Mächten in einer privilegierten Beziehung, wodurch sie die Kindheitsfreunde wieder zueinander führt – und gefährdet. Während die Protagonisten in der ersten Romanhälfte noch Opfer von realer Staatsgewalt werden, Diskurse über Panpsychismus (eine philosophische Position, nach der auch Materie belebt ist) führen und Metal-Bands gründen, nimmt in der zweiten Hälfte dieser eigenwillig göttlichen Tragödie endgültig die Magie überhand. Dort dominieren übernatürliche Doppelgänger das absurde Geschehen, die für Splatterfilm-hafte Szenen und ein blutverschmiertes Finale sorgen. Momente voll von „Kauen, Schlucken, Ekel, Genauigkeit, Lust“ – die essentiellen Charakteristika einer Drastik, wie sie Dath schon 2005 in seinem Briefroman „Die salzweißen Augen“ entwickelt hat, ohne diese dabei als kunstlos zu identifizieren. Das ist auch sein neuer Roman nicht geworden, obwohl nicht jeder Freude an der verblüffenden Entwicklung der Geschichte haben wird, die sich dem Hauptthema zunächst aus ganz verschiedenen Perspektiven nähert. Zweifelsohne präsentiert sie den Marxisten aber erneut als raffinierten Autor. Das ist Dath durch und durch, auch wenn in diesem Fall das Ende mit der erdigeren Ausgangslage nicht mithalten kann. Zunächst zeichnet er mit Witz und Feingefühl Figuren, denen die übernatürliche Erzähltendenz ein wenig an Gesicht nimmt. Doch wer bei Dath auf der Suche nach Realismus ist, sollte generell wohl lieber zu dessen Sachbüchern greifen.