Dominique Manotti: Ausbruch
Mit Anfang zwanzig sitzt Fillipo dank einer kleinkriminellen Vergangenheit bereits eine Haftstrafe ab. Im Gefängnis lernt er Carlo kennen, eine führende Persönlichkeit der radikalen Linken Italiens, und dieser erzählt ihm von Arbeiteraufständen und revolutionären Aktivitäten. Als Carlo die Flucht aus der Besserungsanstalt antritt, erhält Filippo unversehens die Möglichkeit, sich ihm anzuschließen. Er tut es. Im Freien trennen sich ihre Wege alsbald, und Filippo bleibt einsam zurück – und erfährt wenig später, dass sein Fluchtkumpan bei einem Banküberfall ums Leben gekommen ist.
Die Erkenntnis, dass auch nach ihm gefahndet wird, nicht lediglich als Flüchtigem, sondern als mutmaßlicher Komplize des Bankraubs, bei dem unter anderem ein Polizist getötet wurde, treibt Filippo nach Paris, wo er in Kreisen weitere italienischer Exilanten zumindest das Nötigste zum Leben erhält. Als er die Anekdoten und Berichte Carlos sowie ihre gemeinsame Flucht als Grundlage und Inspiration für einen Roman nimmt, der sich überraschenderweise sogar äußerst gut verkauft, ist die Lawine losgetreten.
Seinen Eintritt in die Welt der Literatur nennt Filippo „Ausbruch“ – und eben dieses fiktive Werk bezeichnet auch der Titel von Manottis Kriminalroman. Ob und wie sich die Geschichte seiner, ihrer Flucht zugetragen hat, gerät geradezu zur Fußnote, in der politischen Manege wird der Wahrheitsgehalt indes je nach Interessenlage unterschiedlich eingestuft, und die Popularität des Romans wird genutzt, Filippo zum Spielball politischer Mächte zu machen. Manotti erzählt in schmuckloser, doch weltgewandter Sprache, zweifelsohne klug, doch ohne literarisch zu überhöhen. Ihre mitunter ruckartigen Sätze berichten in direkter Weise von einem Gesamtzustand, in dem eine raumgreifende Atmosphäre politischer Manipulation und Grabenkämpfe in sämtliche Fugen dessen sickert, was unter anderen Umständen ein Privatleben hätte sein können.
Ein politischer Aktivismus, dessen Mittel und Wege Manotti weder in Frage stellt noch befürwortet, bietet im Angesicht des italienischen Staatsterrors keinen Raum für private Meinungen – die Sphären sind längst wechselseitig voneinander durchsetzt. Die Französin Manotti, deren italienisch tönender Name ein Pseudonym ist, ist ehemalige Wirtschaftshistorikerin, und sie versteht es, ihre Aufarbeitung eines Stücks italienischer Nationalgeschichte in packender Manier nachfühlbar zu machen.
Denn darum geht es hier: die Gefühlsstruktur einer Epoche zu beleben, beziehungsweise diese zu nutzen, um das Ausmaß geheimdienstlicher Willkür und medialer Inszenierung nach dem Gusto der Lenkenden zu illustrieren. „Ausbruch“ ist ein Stück Zeitgeschichte, die im Kern zu aktuell ist, um vergessen zu werden, und das nicht nur aufgrund der Tatsache, dass Italiens jüngere Vergangenheit in puncto Verhältnis von Staat und Medien keinesfalls vorbildlich war. Sich der Anfälligkeit vermeintlich unabhängiger Instanzen für Manipulation bewusst zu sein, ist grundsätzlich ratsam. Der um diese Einsicht gesponnene Kriminalroman ist zuweilen zwar ein wenig ungeduldig und bleibt in der Figurenzeichnung pragmatisch – doch um Individuen geht es nunmal nicht. Hier geht es um Verhältnismäßigkeiten.