Dr. Ursula Kleefisch-Jobst: „Präsentationen im Netz ersetzen nicht den persönlichen Dialog“
Generalkuratorin Dr. Ursula Kleefisch-Jobst spricht vom digitalen Druck auf die Museen und rückt dabei das Entscheidende ins Licht: die physische Nähe.
Dr. Ursula Kleefisch-Jobst ist Generalkuratorin des Museums der Baukultur Nordrhein-Westfalen in Gelsenkirchen.
Die Aura des Originals
„Wenn Du mich fragst, was Kunst sei, so weiß ich es nicht. Wenn Du mich nicht fragst, weiß ich es.“ (El Lissitzky)
„Nun öffnen sie wieder! Die Museen schließen ihre Portale auf, damit Menschen wieder die Sammlungen und Dauerausstellungen besuchen können und auch Ausstellungen, die im Shutdown plötzlich nicht mehr zu sehen waren. Touristen sind noch nicht unterwegs, also öffnen die Museen für das heimische Publikum, für die Nachbarn. Werden sie kommen?
In den vergangenen Wochen haben viele Museen große Anstrengungen unternommen, ihre Sammlungen und Ausstellungen im Netz zu präsentieren. Man sah einsame Kuratoren in menschenleeren Sälen vor Kunstwerken stehen und nach Worten ringen, um nicht nur zu beschreiben, was man sehen würde, sondern vor allem auch, was das Besondere ist. Die großen Sammlungen haben bereits lange vor der Corona-Pandemie angefangen, ihre Meisterwerke zu digitalisieren und auf ihren Internetseiten zu präsentieren. Die Größe des Kunstwerkes hängt dann nur noch von der Größe des individuellen Bildschirms ab, und Details kann man heranzoomen, wie es vor dem Original nicht möglich ist. Der Druck auf die Museen war schon lange groß, ihre Ausstellungen im Netz zu präsentieren, um auch so durch Likes und Followers die Besucherzahlen zu steigern. Heute haben Museen zwei Arten von Besuchern: die, die physisch in ihre Häuser kommen; und die, die ihre Aktivitäten im Netz verfolgen. Sicherlich, Inhalte können im Netz vielfältig und mit großem Sachverstand aufbereitet werden und sind dann für viele Menschen zugänglich. Das Entscheidende aber fehlt.
Ein Kunstwerk entfaltet seine Kraft immer erst im Dialog zwischen Betrachter und Werk. Es ist ein physischer, emotionaler und sehr persönlicher Akt, den wir mit all unseren Sinnen erleben. Erläuterungen können Anregungen geben, das Sehen schärfen, aber sie vermitteln nichts von der Aura eines Kunstwerkes. Darum lieben wir die Kunst und haben sie in den letzten Wochen – hoffentlich – schmerzlich vermisst.
Es freut mich, dass die Museen jetzt erst einmal für die Menschen vor Ort öffnen – und sie sollten dies kostenlos tun. Das ist ein wenig Balsam für die Seele. Ich wünsche mir auch, dass die Museen nach der Krise ihre ganze Kraft auf die Präsentation ihrer Kunstwerke richten. Das ist ihre genuine Aufgabe. Präsentationen im Netz sind ein wichtiges Zusatzangebot, aber sie ersetzen nicht den physischen und persönlichen Dialog zwischen Betrachter und Kunstwerk.
Machen wir uns auf in das Museum in unserer Nähe und entdecken unser Lieblingswerk, das nicht dem im Netz verbreiteten Kanon entsprechen muss. Denn: Es ist unser ganz persönliches Lieblingswerk.“