Eagle Eye Cherry
Vier Millionen verkaufte CDs seines Debüts „Desireless“ rück-ten den Mädchenschwarm Eagle-Eye Cherry 1998 über Nacht ins Rampenlicht – aus dem seine große Schwester Neneh kurz zuvor abgetaucht war. Mittlerweile startete auch seine Stief-schwester Titiyo eine Karriere. Zeit also für den smarten Sän-ger, seine Stellung als Entertainment-Oberhaupt der Cherrys zurück zu erobern. Eagle-Eye, der so heißt, weil er als Baby seinen Papa mit nur einem Auge anblinzelte, spielt auf seinem neuen Album eine flauschige Mischung aus unwiderstehlichen Pop-Melodien, Blues-Elementen und schmissigem Rock. Der Rummel geht also wieder von vorne los – garantiert.
_ulysses: Eagle-Eye, du hast drei Jahre Pause hinter dir. Erkennen dich die Leute auf der Straße eigentlich immer noch?
Eagle-Eye Cherry: Na klar. Es hängt aber ein bisschen vom Land ab. In Schweden lassen sie sich nichts anmerken. Meistens ist es aber sehr schön, wenn Leute mich ansprechen. Das gefällt mir besser, als wenn niemand weiß, wer ich bin. In einer Blase wie Michael Jackson will ich allerdings nicht leben. Ich möchte noch in der Lage sein, U-Bahn zu fahren. Als meine Schwester Neneh ihren großen Durchbruch Ende der 80er hatte, benutzten wir trotzdem die New Yorker U-Bahn. Da kam ein Typ auf sie zu und sagte: „Du siehst genauso aus wie Neneh Cherry. Aber die würde natürlich keine U-Bahn benutzen.“ Es wäre wohl nicht anders, wenn Madonna die Bahn nehmen würde. Niemand würde das glauben. Viele Prominente realisieren gar nicht, wie normal sie leben könnten, wenn sie nicht so aufgetakelt durch die Straßen spazieren würden.
_ulysses: Fiel es dir denn leicht, eine Pause vom Musikbiz einzulegen?
Cherry: Och, ich habe in der Zeit in New York gewohnt, mit meinem Buddy Chris viel im Central Park abgehangen, Leute beobachtet, Akustikgitarre ge-spielt, Bier getrunken …
_ulysses: … Joints geraucht …
Cherry: Vermutlich auch das! (lacht) Es klingt paradox: Aber die Tatsache, dass ich mal nicht reisen musste, war wie Urlaub für mich.
_ulysses: Du bist trotzdem wieder nach Schweden zurückgekehrt.
Cherry: Ja, ich habe mich entschlossen, in Europa zu leben. Ich liebe New York, aber die Stadt hat den Fehler, dass sie in der USA liegt. Ich muss halt ab und zu dahin zurückkehren, weil dieser Ort für meine Inspiration wichtig ist. Doch die Politik drüben macht es mir leicht, das Land auch wieder zu verlassen. Der Hauptgrund aber: Ich möchte bald Familie und Kinder haben, und das sollte nicht in den USA passieren.
_ulysses: Wirst du deine Kinder dann auch mit auf Tour nehmen, so wie es dein Vater tat, der Jazz-Trompeter Don Cherry?
Cherry: Nicht unbedingt. Ich bin konservativer als meine Eltern – wenn ich Banker oder Polizist geworden wäre, hätte mich mein Dad angebrüllt! Das Tolle an meinen Eltern war, dass sie uns sehr früh dazu erzogen haben, Individuen zu sein. Sie haben nie von oben herab mit uns geredet. Wir waren verantwortlich für unsere Aktivitäten. Sie ließen uns spüren: Kinder sind vollwertige Menschen.
_ulysses: Wer von deinen Schwestern steht dir näher: Neneh oder Titiyo?
Cherry: Neneh – sie wurde ebenfalls von meinem Vater aufgezogen. Aber ihr richtiger Vater war auch Titiyos Vater. Titiyo und ich sind nicht direkt ver-wandt, wir teilen nur eine Schwester. Als ich nach Stockholm zog, kannte ich Titiyo nicht wirklich. Und in den letzten Jahren haben wir uns erneut ein wenig aus den Augen verloren.
_ulysses: Hast du eigentlich Angst vorm Älterwerden?
Cherry: Überhaupt nicht. Mein Traum ist es, eines Tages ein alter Mann zu sein, zurückblicken und sagen zu können: Mann, das war ein ziemlich interes-santes Leben, das ich da geführt habe. Mir gefällt die Idee, dann einen Stuhl zu haben, auf dem niemand sonst sitzen darf außer Opa. Der einzige Gedanke, der mir bitter aufstößt: nicht mehr in der Lage zu sein, zu rennen und gegen den Ball zu treten. Denn ich bin ein absoluter Fußballfreak. Aber es ist noch zu früh, an so etwas zu denken. Schließlich sehe ich immer noch aus, als wäre ich 18. Beim Bierbestellen muss ich sogar manchmal meinen Ausweis vorzeigen!
_ulysses: Freust du dich, für deine Welttournee im nächsten Jahr wieder län-ger auf Achse zu sein?
Cherry: Ich werde eigentlich nie müde, Konzerte zu spielen. Im Moment bin ich sogar heiß darauf! Das ist mein Lohn. Geld, Charts: All das ist gut, aber nicht besser als ein Gig mit einem tollen Publikum. Gut, nicht viel zu Hause zu sein, das schlechte Essen, die Interviews: Das ist ermüdend. Aber sobald du auf der Bühne stehst, hast du das schon vergessen. Und wenn dann wieder so eine Halle wie der Funky Pussy Club in Hamburg auf dem Tourplan steht, ist es sogar faszinierend. Ich konnte mir nicht vorstellen, ob Funky Pussy nun eine gute oder schlechte Sache sein würde. Ich hatte gehofft, es sei ein Strip-Club. Leider umsonst.
Interview: Katja Schwemmers