„The Dream“ von The Favors: Ein Sepia-Soundtrack für gebrochene Herzen

Billie Eilishs Bruder Finneas und US-Songwriterin Ashe verbindet mehr als nur Freundschaft: Sie haben nun auch eine eigene Band. The Favors schenken uns Herzschmerz – und das gleich im Zwölferpack.
Stellt euch vor, ihr betretet eine verrauchte Bar irgendwo im New York der 70er-Jahre. An der Wand steht eine Jukebox, die Tasten blinken, ihr werft eine Münze ein und statt Fleetwood Mac oder ABBA erklingt plötzliche eine Platte, die man noch nie gehört hat – und doch klingt sie so, als wäre sie schon immer da gewesen. So fühlt sich „The Dream“ an, das Debütalbum von The Favors, der neuen Band von Finneas und Ashe. Sie schufen eine Platte, die man am besten auf leicht knisterndem Vinyl hört, um die Zeitlosigkeit und Nostalgie voll auszukosten.
Wer sind The Favors?
Ashe und Finneas sind schon längst nicht mehr unbekannt. Ashe, die US-amerikanische Singer/Songwriterin mit einer glasklaren Stimme, die mit „Moral of the Story“ TikTok eroberte. Finneas O’Connell, der 10-fache Grammy-Gewinner, jüngster „Producer of the Year“ aller Zeiten und vor allem als kreativer Partner seiner Schwester Billie Eilish weltbekannt. Die beiden verbindet eine enge Freundschaft und gegenseitige Bewunderung. Schon 2021 veröffentlichten sie die erste gemeinsame Single „Till Forever Falls Apart“ – eine hymnische Ballade, die Anklang bei Fans fand und den Wunsch nach mehr gemeinsamer Musik aufkommen ließ. Aus der Freundschaft wurde ein Duo, aus einem Experiment wurde The Favors.
The Dream: Herzschmerz in zwölf Teilen
In nur kurzer Zeit geschrieben und aufgenommen, teils in Finneas’ Wohnzimmer in Los Angeles, teils in Ashes Heimat Nashville, wirkt es ehrlich und spontan. Genau in diesen Faktoren liegt die Stärke: eine Herzensangelegenheit von zwei Freunden, bei dem man den Spaß und die künstlerische Freiheit aus jedem Lied heraushört. Unter Vertrag stand das Duo nämlich während der Kreation des Albums nicht. Den Druck eines Labels wollten sie sich ersparen, und so entstand The Dream ganz privat und heimlich. Auf zwölf Tracks erkunden The Favors die Facetten des Herzschmerzes. In „The little Mess you made“ wird es emotional und kathartisch, etwa wenn Finneas und Ashe abwechselnd überlappende Textzeilen singen wie ein streitendes Paar, das verzweifelt nach einer Lösung sucht. „David’s Brother“ ist hingegen fast komisch und sogar tanzbar, denn The Favors besingen mit einem Augenzwinkern den Moment nach einer Trennung, wo man sich aufrafft und endlich das Haus verlässt und auf seltsame Weise genau dann unverhofft der ehemaligen großen Liebe begegnet. Ashe und Finneas singen mal abwechselnd wie zwei Charaktere in einem Liebesdrama, mal verschmelzen ihre Stimmen zu Harmonien, die Gänsehaut auslösen – je nachdem, welches Kapitel der Geschichte sie verkörpern wollen.
Die Sehnsucht nach Echtheit
Beim Hören drängt sich der Vergleich mit Fleetwood Mac auf, nicht nur wegen der Dynamik zwischen Mann und Frau, den Harmonien und dem Schmerz in den Stimmen oder den bittersüßen Texten, sondern auch wegen des warmen, groovigen Retro-Sounds, der irgendwo zwischen Folk, Pop und Rock einzuordnen ist. Also noch eine Band, die auf den Retro-Zug aufspringt? Da kann man erstmal skeptisch sein, doch mich haben The Favors überzeugt. Weil sie nicht einfach nachahmen oder dem Revival wahllos hinterherrennen. Ashe und Finneas wissen um die Sehnsucht nach Authentizität, die die aktuelle Popkultur prägt und machen sich Nostalgie als Stilmittel zu eigen, um eben diese simple Authentizität der Vergangenheit zurückzuholen. The Dream ist inspiriert von der Ästhetik der 70er-Jahre – fast alles bekommt einen Sepia-Filter verpasst – doch gleichzeitig ist es fest im Hier und Jetzt verankert. Auch andere Künstler:innen wie Tame Impala, Florence + The Machine oder Bruno Mars lassen sich bereits erfolgreich vom Klang der Disco- und Funk-Epoche inspirieren. Wenn man sich umschaut, ist Retro eigentlich überall: in Serien wie „Daisy Jones & The Six“, in der Mode mit Schlaghosen und der Rückkehr zu Hobbys wie der Analogfotografie. Das 70s-Comeback scheint kein Ende zu nehmen, aber warum auch, wenn es doch so schön zeitlos ist?
Songs wie Tagebuchseiten
Was The Favors so besonders macht, ist das Songwriting. Die Texte sind so ehrlich, intim und bildhaft, dass man sich sofort ins besungene New York und die Situation der Charaktere in den Songs hineinfühlen kann. Ob im titelgebenden intensiven „The Dream“, im düsteren „Necessary Evil“ oder in „Lake George“, das den Versuch beschreibt, Liebeskummer mit flüchtigen Affären zu betäuben – die Bilder sind stark, genau wie die unverstellten Emotionen. Und gerade weil der Sound oft warm und groovig ist, wirkt der Kontrast zu den teils schweren Texten umso stärker. Instrumentale Solos und E-Gitarren geben dann den Rest, sie klingen teils fragmentiert wie gebrochene Herzen, aber auch präzise, ganz wie die künstlerische Kraft des Duos.
Erste Konzerte liefen bereits – natürlich im Retro-Look mit Anzug und Abendkleid, wie alte Rockstars, aber ohne den Staub. Die Chemie auf der Bühne ist unübersehbar, genau wie in Interviews, wo Finneas und Ashe nicht müde werden, die Talente des jeweils anderen zu loben. Diese gegenseitige Bewunderung übersetzt sich direkt in die Musik: Man spürt, dass hier nicht zwei Geschäftspartner:innen auf der Bühne stehen, sondern zwei Menschen, die sich blind vertrauen. „The Dream“ fühlt sich zeitlos an und kreiert den Soundtrack zu einer Ära, die wir vielleicht nicht miterlebt haben, aber trotzdem vermissen. Wären Jukeboxen heute noch ein Ding, würde man immer wieder auf The Favors drücken: für noch einen letzten Tanz mit der verflogenen Liebe, bevor man mit einem Ohrwurm im Kopf durch die Straßen New Yorks nach Hause schlendert.