„Fearless“ von Rolf Kühn: Ein Gentleman verbeugt sich
Der vor zwei Jahren verstorbene Klarinettist Rolf Kühn ist immer ein bisschen unter dem Radar geflogen. Sein letztes Album beweist, dass das zu Unrecht so war.
Immer ein wenig unter dem Radar der Jazzgemeinde und doch immer präsent. Rolf Kühn? Genau: Klarinettist, großer Bruder des Pianisten Joachim Kühn. Das war’s dann aber auch schon mit dem biografischen Halbwissen über jenen Musiker, der eher unbemerkt von der Öffentlichkeit vor zwei Jahren gestorben ist. Kühn war ein Künstler, der als Solist, Bandleader und Komponist den Jazz der Nachkriegszeit in Deutschland entscheidend mitgeprägt hat. Doch zunächst hat es ihn zu den Wurzeln der Musik gezogen, der er sich verschrieben hatte – in die USA, wo er in den 1950er-Jahren in Benny Goodmans und Tommy Dorseys Bigbands gearbeitet hat. Zurück im Wirtschaftswunder-Deutschland, wurde Kühn schnell Leiter des NDR-Fernsehorchesters, doch hat er – anders als etwa sein populärer, weil tanzmusikaffiner Klarinettenkollege Hugo Strasser – nie den Status eines Stars genossen. Allenfalls verpassten Kritiker Kühn freundliche Attribute wie „Gentleman des Jazz“. Und ein Gentleman schweigt eben lieber, als sich in den Vordergrund zu spielen.
Unmittelbar vor seinem Tod ist Kühn ins Berliner Hansastudio gegangen, um mit dem Pianisten Frank Chastenier, Lisa Wulff am Bass und dem Drummer Túpac Mantilla ein weiteres Album einzuspielen – dass es sein letztes sein sollte, konnte er nicht ahnen. „Fearless“ wurde zum Vermächtnis, und es zeigt die immense Bandbreite von Kühns Klarinettenspiel: vom warmen, holzig gehauchten Timbre in Eric Claptons „Tears in Heaven“ oder in Henry Mancinis „The Summer knows“ bis zu den scharf konturierten Skalen der Eigenkompositionen, die an die Grenzen des Spielbaren gehen und sich in der Tradition eines Kurt Weill oder eines Leonard Bernstein ganz weit weg entfernen von jeglicher Feelgoodmelodik. Als ihm im vergangenen Jahr posthum der Deutsche Jazzpreis verliehen wurde, war es Rolf Kühns Bruder Joachim, der den Geehrten als „weltbesten Klarinettisten seit Anfang der 60er-Jahre“ bezeichnet hat. Mit Superlativen ist das immer so eine Sache, und Rolf Kühn selbst hätte vermutlich – ganz Gentleman – vehement widersprochen.