FFT Düsseldorf: „Place Internationale“ verbindet künstlerische und politische Arbeit
Kathrin Tiedemann hat mit drei Kollegen am FFT Düsseldorf das Stadtlabor „Place Internationale“ konzipiert, das Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verknüpft. Worum es dabei genau geht, erzählt die künstlerische Leiterin des FFT im Gespräch mit kulturnews.
Kathrin Tiedemann, der Titel Ihres Projektes am FFT Düsseldorf hat mich zunächst ganz schön ratlos gemacht. Wie erklären Sie jemanden, der nicht weiß, worum’s geht, was es mit „Place Internationale. Die 73 Tage der Commune oder der lange Wellenschlag der Revolution“ auf sich hat?
Die Geschichte der Pariser Commune gehört bei uns nicht zum Kanon des Geschichtsunterrichts. In Frankreich übrigens auch nicht. Aber das will ja nichts heißen! Die urbane und soziale Revolution der Pariser Commune von 1871 dauerte zwar nur 73 Tage und endete mit einer brutalen Niederschlagung durch die französische Armee. Für diejenigen, die daran aktiv oder beobachtend teilnahmen und überlebten, war es ein lebensentscheidendes Ereignis. Die Frage, wie ein gemeinschaftliches, selbstbestimmtes Leben möglich sein kann, trägt sich wie ein Wellenschlag durch die Geschichte und beschäftigt uns auch heute im Kontext der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Konstellationen und Konflikte. Aus diesem Grund haben wir Künstler*innen, Theoretiker*innen und Stadtaktivistinnen zu einem Stadtlabor unter dem Titel „Place Internationale“ eingeladen.
Wenn das Ziel ist, Kulturgestaltung, Raum und Gesellschaft neu zu befragen: Wieso braucht es dafür einen historischen Bezug? Und ist die Einbeziehung der Gemeinschaft nicht ein durchgehendes, stets aktuelles Thema?
Das Projekt hat noch einen weiteren konkreten Anlass: Das FFT Düsseldorf zieht um und erhält ein neues Theater im KAP1, dem neuentstehenden kulturellen Zentrum am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Uns geht es darum, den besonderen Moment des Standortwechsels unseres Theaters und den historischen Anlass der Pariser Commune aufeinander zu beziehen, um die Grundlagen aktueller Theaterarbeit in Bezug auf die Stadtgesellschaft zu thematisieren. Das können wir jetzt in der geplanten Form aufgrund von Bauverzögerungen und durch die pandemiebedingten Einschränkungen zwar nicht in der ursprünglich geplanten Weise realisieren. Wir arbeiten jedoch gerade mit Architekt*innen an einer alternativen räumlichen Umsetzung, die einen temporären Ort der Versammlung im Stadtteil Flingern vorsieht. Dort, an weiteren Orten in der Stadt und im Internet werden wir den gesamten September mit Place Internationale präsent sein. Anschließend werden wir das Projekt über verschiedene Stationen fortsetzen und im Mai kommenden Jahres dann im KAP1 zum Abschluss bringen.
FFT Düsseldorf: „Recht auf Stadt“ – Stadtraum als konkreter Möglichkeitsraum
Auf der FFT-Website beschreiben Sie das Programm als die Verbindung von „künstlerischer und politischer Arbeit mit einer täglichen Lebenspraxis“. Wie kann ich mir das konkret vorstellen?
Dabei geht es darum, dass die Beteiligten die Formen der Zusammenarbeit und das soziale Miteinander im Rahmen des Projektes gemeinsam verantworten. Außerdem begreifen wir den Stadtraum als einen konkreten Möglichkeitsraum, etwa in dem Sinne, wie Henri Lefebvre vom „Recht auf Stadt“ spricht. Die sozialräumlichen Gegebenheiten zu recherchieren und mit ihnen zu arbeiten, ist zentraler Bestandteil des Projekts ebenso wie der Austausch mit internationalen Gästen über deren Situation und Praxen. So nehmen Akteure aus Frankreich, Kanada und Österreich teil, ebenso wie das aktivistische Künstler*innen-Kollektiv Más Arte Más Acción aus Kolumbien. Letztere berichten in einem performativ-diskursiven Format über ihre Kämpfe um ein selbstbestimmtes Leben in einem postkolonialen Kontext.
Welche Herausforderungen sehen Sie in der demokratischen Gestaltung eines künstlerischen Stadtlabors? Und muss am Ende nicht doch eine Kompromissentscheidung gefällt werden, die allen Handlungsspielräumen und Interessen gerecht wird?
Es geht im September vor allem darum, Raum und Zeit für forschende Praxen zu bieten, in dem gemeinsam gearbeitet, ausprobiert und miteinander gelernt werden kann. Es wird offene Proben geben, Workshops, Versuchsanordnungen, Diskurse und Stadterkundungen.
„ Auseinandersetzung mit heutigen urbanen Bewegungen und Aufständen“
Es heißt, dass auch das Publikum bei „Place Internationale“ zur aktiven Beteiligung eingeladen und aufgefordert wird. Was genau erwartet die Besuchenden bei dem Projekt?
Wir starten am 3. September mit einem Stadtspaziergang zu den Orten, an denen das Projekt stattfinden wird. Am 4. September stellen wir unser Programm in der Planwerkstatt vor, dabei werden wir auch die Sonderausgabe der Zeitschrift für Urbanismus dérive präsentieren, die in Zusammenarbeit mit unserem Projekt entstanden ist. Gintersdorfer/Klaßen werden mit ihrem transnationalen Ensemble an einem Thema arbeiten, zu dem sie das Buch „Soziale Gelbsucht“ von Guillaume Paoli inspiriert hat, dabei geht es um die Unruhen in den Pariser Banlieue und den Protest der Gelbwesten. Bei Claudia Bosse sind Stadtbewohnerinnen unterschiedlichen Alters eingeladen, an einer Performance im Stadtraum mitzuwirken. Es gibt eine Ausstellung zur Geschichte der Barrikaden, eine Übersetzungs- und Lesegruppe zu Henri Lefebvres Commune-Buch, aus dem wir Kernpassagen erstmals in Deutsche übersetzt haben, einen Vortrag und Workshop der amerikanischen Commune-Forscherin Kristin Ross, deren Buch „Luxus für alle“ gerade auf Deutsch erschienen ist. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Auseinandersetzung mit medienhistorischen und bildpolitischen Aspekten der Commune und heutigen urbanen Bewegungen und Aufständen.
Interview: Janka Burtzlaff
„Place Internationale. Die 73 Tage der Commune oder der lange Wellenschlag der Revolution“ läuft vom 3. September bis 2. Oktober. Auf der Website des Projekts gibt es noch nähere Infos, auch zum Programm des FFT Düsseldorf
Das Programm von „Place Internationale“
Mi 8. 9.–Sa 11. 9.
Gintersdorfer/Klaßen
La rue. Debatten, Beschimpfungen und gemeinschaftlicher Luxus, Performance/Showing
Täglich um 18 Uhr, Planwerkstatt 378
- So 12. 9.: Tom Ullrich und Anne Heimerl
Bilderatlas der Pariser Kommune
Audiovisuelle Installation mit Führung um 15 Uhr Uhr, Planwerkstatt 378 - Mi 15. 9., Fr 17. 9., Sa 18. 9., jeweils ab 19 Uhr: Katja Stuke und Oliver Sieber/BöhmKobayashi: La Ville Lumière, Paris, 8 Dec 2018 – Videoinstallation und Buchpräsentation Planwerkstatt 378
- Do 16. 9.: Florence Hervé, Louise Michel und die Frauen der Pariser Commune, 18 Uhr, Zentralbibliothek (Bertha-von-Suttner-Platz)
- So 16. 9.–Sa 2. 10.: Claudia Bosse mit Kompliz*innen
Commune 1.73 – 73 Fragmente zur Pariser Commune - Urban observation around a new space Liveset mit Texten der Commune, So 16. 9. (mit Ted Gaier) + Di 28. 9. (mit Ted Gaier u.a.), jeweils um 20 Uhr, KAP1-Central-Brücke Jeweils 10 Zuschauer:innen pro Termin (Einlass über den Sondereingang der Brücke)
- Performance Tryouts
mit Mun Wai Lee, Veronique Alain, Brigitta Schirdewahn
Mi 22. 9. + Sa 25. 9., jeweils um 19 Uhr, Im Stadtraum, Treffpunkt: KAP1-Central-Brücke - Performance Tryouts mit Stadtbewohner:innen unterschiedlicher Generationen: So 19. 9., So 26. 9., 18 Uhr, Treffpunkt: KAP1-Central-Brücke, Fr 1. 10., 20 Uhr, Treffpunkt: KAP1-Central-Brücke, Sa 2. 10., 16 Uhr, Treffpunkt: KAP1-Central-Brücke
- Mo 20. 9.–Fr 24. 9. Moritz Hannemann, Laura Strack, Klaus Ronneberger Lefebvre-Werkstatt, Planwerkstatt 378, täglich um 17 Uhr, Fr 24. 9. 15 Uhr
- Fr 24. 9. Kristin Ross, Guillaume Paoli Communal Luxury/Luxus für alle 19 Uhr, Planwerkstatt 378
- Sa 25. 9. Kristin Ross, Lecture und Public Seminar zu „Luxus für alle“ 14–17 Uhr, Planwerkstatt 378
- Mo 27. 9. Susanne Fasbender: Perspektive soziale Revolution. Interview mit Detlef Hartmann Gespräch, Planwerkstatt 378
- Mi 29. 9.–Fr 1. 10. Urban Subjects: Waves of the Commune, Installation/Gespräch, Mi 29.9., Do 30. 9., Fr 1. 10., jeweils ab 19 Uhr, Planwerkstatt 378
- Sa 2.10. Atrato Kollaborationen (Chocó, Kolumbien): Unwahrscheinliche Begegnungen mit Kollektiven vom Atrato Fluss Sa 2. 10., 20 Uhr, Planwerkstatt 378