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Flatz

„FressenFickenFernsehen“. Dieser Slogan war 1980 ein Skandal und ist bis heute Flatz’ künstlerisches Erbe. Davor und danach: Nervenklinik, Emigration nach Deutschland, Aktionen auf documentas, Professuren an Unis, Körperkunst, gehäutete Schimmel auf Bühne zu nackter Frau. Der Bürgerschreck par excellence. Jetzt macht Flatz Musik, mit 48. Fressen, Ficken und Fernsehen inklusive.

Als Song findet sich Flatz’ berühmte Wortkombination auf seinem zweitem Longplayer „Love and Violence“ (erscheint 26. 6. bei Epic) wieder. Harte Industrialbeats und karge Phrasen in geraunztem Genuschel, dass man kaum Gesang nennen kann. Neu ist das nicht. Die Performancekunst hat Flatz dafür vernachlässigt, und er will sogar Konzerte geben. Vorbilder: Laurie Anderson und David Bowie. Aber braucht die Welt diese Platte und Flatz überhaupt noch? Aber ja doch, meint der Künstler. Es geht um die Vermittlung eines Ausdrucks, die Stimme ist nur Werkzeug. Musik hat für ihn immer eine wichtige Rolle gespielt. Der Übergang von Phase Zwei („Demontagen“) zu Phase Drei im Werk des Flatz steht an. Und Phase Drei ist die Musik. Kein Gedanke, dass das keine Sau interessieren könnte. Flatz’ Handy, das aussieht, als wäre es aus Dinosaurierhaut, klingelt mit Nachdruck. Kunst ist wie das Leben, führt die sonore Stimme fort und zieht die Vokale in österreichischer Art lang: Nichts statisches, sondern etwas, was ständig im Prozeß ist. Bewegung kann man nicht aufhalten, Stilmittel penetrieren ist nicht. Kunststudium und Musik passen zusammen findet Flatz und blickt sinnierend und ein wenig manieriert aus dem Fenster. Musik ist die unmittelbarste Form des Ausdrucks, ein Multiplikator für die Massen. Hauptsache, es ist keine avantgardistische Taschenonaniererei. Flatz, der Provokateur.

Weniger provokativ ist seine Einstellung zu den Wegbegleitern aus der Zeit der radikalen Kunst, die überraschend konform ausfällt. Cindy Sherman? Da entwickelt sich leider wenig. Yoko Ono? Unterschätzte Künstlerin. Warhol? Großer Einfluss. Kinski? Großer Schauspieler, Psychopath. In Zeiten von Big Brother aber sind die Leute schwerlich mehr zu schockieren. FressenFickenFernsehen immer noch allerorts, da sieht sich Flatz sanft grinsend bestätigt. Jedes Volk kriegt die Unterhaltung, die es verdient. Gut, dass Flatz keine Unterhaltung macht. Dafür haben wir Schlingensief, und – auf der populären Ebene – Raab. Flatz schätzt beide, weil sie Schelme sind. Ein Schelm ist auch Flatz, wenn er sich mit Bergen an Brachialschmuck schmückt und Technomusik faschistoide Tendenzen unterstellt. Und es genießt, wenn Leute auf Empfängen den Platz neben Flatz meiden weil sie Angst vor ihm haben. Flatz, das Monster.

Das gar nicht so monströs ist: Die einzige verbleibende Kaffeetasse spült er eigenhändig aus, damit auch die Medien zu einem Mocca kommen. Das ist schön. Schön ist für Flatz ein Bild überm Sofa. Da wird er nie hängen. Als Deo zur Tapete zu harmonieren, das würde das Ende von Flatz bedeuten. Seine Kunst ist positiv, sagt er. Wenn sie auch eine destruktive Form hat. Das ist ein bißchen intellektuelle Floskel, und auch den Satzanfang „Wer mein Oeuvre kennt …“ bemüht Flatz häufig. Da wirkt er wie das, was er nicht sein will: ein bildender Künstler. Aber diese Ambivalenzen und Widerstände in Flatz’ Persönlichkeit machen ihn interessant. Widerstand ist Energie, aus der etwas entsteht ist seine Philosophie. Das ist ebenso wenig neu wie Flatz’ Musik. Aber von zeitloser Wahrheit. Noch was? Unterfütterung der Gesellschaft führt zur Massenverblödung. Flatz, der Intellektuelle.

Volker Sievert

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