Frank Schulz: Onno Viets und der weiße Hirsch
Mit einem ganz großen Wurf schließt Frank Schulz die Trilogie um Onno Viets, den Hartzer mit posttraumatischer Belastungsstörung aus Hamburg Eppendorf, ab. „Der weiße Hirsch“ spielt ein halbes Jahr nach „Der Irre vom Kiez“, als Onno auf dem Alsterdampfer Saselbek den Amoklauf eines Zuhälters knapp überlebte. Einerseits ist der Roman als Krimi angelegt, noch viel mehr aber ein Familiendrama. Noch immer wird Onno von Angstattacken geplagt, was nur einer – nicht ohne Grund – bestens versteht: Schwiegervater Henry Baensch. Spät erst im Roman erfahren wir, wieso, dafür aber mit ums größerer Wucht. Vorher zieht der Autor den Leser in die Auseinandersetzungen des gesamten Dorfes Finkloch mit der Esoterikerin Tara Parinama rein, die regelmäßig mit ihren unausgelasteten und gut bezahlende Frauen aus dem nahe gelegenen Hamburg den Mond anbetet und Katzen in hoher zweistelliger Zahl durch die Natur streunen lässt – sehr zum Ärger des Försters i. R. Henry Baensch. Als eine Katze beim Streunen durch die Natur abgeschossen wird, spricht die Esotante einen Fluch aus: „Wer weiße Magie kann, kann auch Schwarze!!!!!“ Wenig später sitzt Henrys Kumpel Knut tot in der Jägerkanzel im Mondwald – einen Tannenzweig im Gebiss, und Henry Baensch erleidet einen Nervenzusammenbruch. Schulz, der Meister der Milieuschilderung, hat Komik und Drama verschränkt wie noch nie zuvor. Alleine das 50-seitige Kapitel über den 70. Geburtstag von Henry Baensch ist von einer liebevollen Genauigkeit, die sich nicht nur auf die Familie von Onnos Schwiegereltern erstreckt, sondern die gesamte – platt sprechende – Dorfgemeinschaft mit einbezieht. Schulz, der den Roman seinen Eltern widmet, hat viel Familiengeschichte verwertet. Es ist der bitterernste Teil des Romans, den sich jeder Leser selbst erarbeiten soll.