Freies Land: Deutscher Thriller à la „True Detective“ startet jetzt
Ja, Christian Alvart hat die „Tatort“-Folgen mit Til Schweiger gedreht. Mit dem düsteren Wende-Thriller „Freies Land“ macht er das jetzt aber wieder gut.
Worum geht es in „Freies Land“?
Der West-Cop Patrick Stein (Trystan Pütter) wird in „Freies Land“ 1992 in die ostdeutsche Provinz strafversetzt, um das Verschwinden zweier junger Frauen aufzuklären. Unterstützt wird er von dem Ost-Bullen Markus Bach (eine echte Entdeckung: Felix Kramer) – einem schnauzbärtigen Trumm von einem Mann, der säuft, frisst und seine Stasi-Methoden noch nicht abgelegt hat. Die beiden gegensätzlichen Männer durchstreifen ein winterliches Land, das nur aus Ödnis, Sumpfgebieten, Kläranlagen und einigen wenigen Straßen zu bestehen scheint und aussieht wie eine riesige Abraumhalde: zerklüftet, karstig, von Schneehaufen bedeckt wie ein Körper von Schuppenflechten. Der Osten sah nie weniger reizvoll aus. Stein, der Korrekte, will sich an die Regeln halten, Bach, der Regelübertreter, weiß, dass hier andere Regeln gelten als die aus dem Gesetzesbuch. Klar ist: Die Mädchen wollten weg aus dem Kaff, hin ins glitzernde Berlin. Bald findet man die Schwestern, tot, furchtbar zugerichtet. Stein kotzt, Bach schnauft. Es ist ein Magenaufräumen und Durchatmen für das, was danach aus dem Nebel und dreckigen Dunst der Landschaft aufsteigt: mehr Geheimnisse, mehr verschwundene Frauen, mehr Zombies der Wiedervereinigung …
Wer hat bei „Freies Land“ Regie geführt?
Christian Alvart,.Deutschlands eifrigster Action- und Thrillerregisseur (unter anderem die „Tatorte“ mit Til Schweiger) erfindet das Serienkillerrad nicht neu. Zwei grundverschiedene Polizisten auf unbekannten Terrain im eigenen Land kennt man: aus „Mississippi burning“, aus fast jeder „Akte X“-Folge, und vor allem aus der ersten Staffel von „True Detective“, an die sich Alvart auch ästhetisch anlehnt, wenn Stein und Bach zu dräuenden, gesummten Spirituals durch endlose, irreale Landschaften fahren, die ihnen nirgends Sicherheit und Schutz bieten. Auch gibt es Klischees und Stereotypen, manche Figur und mancher Handlungsstrang verschwindet im Nichts wie die Wahlergebnisse der SPD in Sachsen. Und auch die Idee ist nicht originär: „Freies Land“ basiert (auch ästhetisch) auf dem spanischen Thriller „La isla mínima – Mörderland“ von 2014, der zwei Polizisten bei der Mördersuche in einem von der Franco-Diktatur geprägten Landstrich zeigte. Und hier liegt auch die große Qualität der deutschen Version.
Was ist die Qualität von „Freies Land“?
Endlich einmal gelingt es einem deutschen Genrefilm, kein reiner Genrefilm zu sein, sondern gesellschaftliche Themen in seiner Genregeschichte zu spiegeln. Die jungen Frauen werden vergewaltigt, gefoltert, ermordet und zerteilt – eine drastische Allegorie auf das, was der Westen nach der Wende mit der Kultur und der Wirtschaft des Ostens gemacht hat. Alvart überträgt die krassen und unrechten Umwälzungen jener Tage gekonnt auf die fiktionale Mordserie an den Teenagern: Die Unschuld und die Zukunft des Ostens werden missbraucht und getötet, sie werden mit Versprechungen von Arbeit und Wohlstand, politisch gesprochen: von blühenden Landschaften, geködert – und dann vernichtet und entsorgt, im Treuhandsprech: abgewickelt. Der Duft der Freiheit ist hier nur das edle Parfüm des Mörders.
Was macht „Freies Land“ so aktuell?
„Dieses Land ist nicht mehr das, was es war. Die Leute haben sich viel erhofft. Und es gibt Enttäuschte“, sagt Bach zu Stein. Dass könnte auch ein Auszug aus dem Bericht sein, den eine CDU-Kommission zu den Wahlerfolgen der AfD in Ostdeutschland anfertigen sollte. Oder der O-Ton eines arbeitslosen Maurers aus Chemnitz oder Halle. Politische Sätze wie diese sind der Grund, warum der Film mehr ist als ein Thriller über den Doppelmord an zwei jungen Mädchen in der Oder-Region und die schlundartigen Abgründe, in die zwei Polizisten bei ihren Ermittlungen blicken.
Was kann man aus „Freies Land“ lernen?
„Freies Land“ gibt natürlich keine Antworten auf die Fragen, wie der Aufstieg der AfD im Osten zu erklären und zu bekämpfen ist. Aber der Film zeigt Traumata, an der Seele und am Stolz, Risse in Existenzen, Narben – Verletzungen, von denen die AfD profitiert. Das deutsche Kino setzt zur Zeit stark auf Remakes von im Ausland erfolgreichen Stoffen, zuletzt bei der Komödie „Das perfekte Geheimnis“ – wenn es so gut gemacht ist wie in „Freies Land“, kann es damit gerne die Zeit überbrücken. Bis man wieder eigene Ideen hat.
Wann kommt „Freies Land“ ins Kino?
Kinostart ist am 9. Januar. Hier findet ihr alle Termine und Vorstellungen.
Text: Volker Sievert