Berliner Theatertreffen mit Devid Striesow, Corinna Harfouch u. v. m.
Das Theatertreffen setzt 2019 auf Kooperation! Auf der Bühne viele deutsche Theaterstars
Anfang des Jahres gab die Geschäftsführung der Kasseler Documenta bekannt, wer die wichtigste Ausstellung zeitgenössischer Kunst im Jahr 2022 leiten wird: das indonesische Künstler-Kuratoren-Kollektiv ruangrupa. Kein einzelner Kuratorengott wie bisher, sondern eine Gruppe, von der nicht einmal klar ist, ob sie aus zehn, 15 oder gar unendlich vielen Kunstschaffenden besteht. Aber wichtig ist ohnehin die Zusammenarbeit. Ein zentraler Begriff des ruangrupa-Konzepts lautet „Koperasi“, übersetzen lässt sich das mit „Kooperation“. Was ruangrupa zur wahrscheinlich wichtigsten Künstlerinitiative der späten Zehnerjahre macht.
Denn wo man hinsieht, überall wird kooperiert. Am augenfälligsten wird das bei der Einladungsliste zum Berliner Theatertreffen, trotz aller Kritik an solchen Großveranstaltungen immer noch der wichtigste Wasserstandsmelder des deutschsprachigen Bühnengeschehens. Ging es hier früher darum, bedeutende Regiepositionen zu präsentieren, große Schauspielerpersönlichkeiten oder Metropolenbühnen mit singulärer Ausstrahlung (also jedes Jahr Burgtheater, Castorf und Sophie Rois), so wird diesmal bis zum Gehtnichtmehr kooperiert. Während der heldenhafte Einzelkünstler in Vergessenheit gerät.
Zum Theatertreffen eingeladen ist etwa „Oratorium“, ein Stück des Live-Art-Kollektivs She She Pop, ohne Autorin, ohne Regisseur, sogar ohne festgelegte Performerinnen – nach einer Weile betritt das Publikum die Bühne und gestaltet die Handlung selbst. Premiere feierte der Abend am Berliner HAU, Koproduzenten sind aber die Münchner Kammerspiele, die Schauspielhäuser in Stuttgart und Leipzig, die freien Produktionshäuser Kampnagel (Hamburg) und Mousonturm (Frankfurt) sowie Festivals in Hannover, Lublin und Sofia. Eine einzelne Künstlerin, ein einzelnes Theater kann sich den Erfolg dieser Einladung nicht auf die Brust heften, nicht einmal eine „Theaterhauptstadt“ lässt sich mehr ausmachen.
Ähnlich Thorsten Lensings Dramatisierung von David Foster Wallace’ Roman „Unendlicher Spaß“. Der Abend ist zwar durchaus echtes Theater, das mit prominenten Schauspielern wie Ursina Lardi und Devid Striesow aufwartet, Premiere feierte er allerdings in den kleinen Berliner Sophiensælen. Koproduzenten sind hier wieder Kampnagel und Mousonturm, dazu kommen das Theater im Pumpenhaus (Münster) und Hellerau (Dresden), Schauspielhäuser in Stuttgart, Zürich und Luxemburg sowie die Ruhrfestspiele Recklinghausen. Angesichts dieses exzessiven Kooperierens lösen sich nicht nur die alten Hierarchien zwischen Künstlerin und Publikum, zwischen Metropole und Provinz auf, sondern fast unbemerkt auch zwischen Staatstheater und freier Szene. Ebenso bei Thom Luz’ (primär) Schweizer Arbeit „The Girl from the Fog Machine Factory“, bei der die Zürcher Gessnerallee wiederum mit Kampnagel zusammenarbeitet und darüber hinaus mit dem Théâtre Vidy-Lausanne, der Kaserne Basel, dem Theater Chur und dem Luzerner Südpol.
Beinahe konventionell wirken da zwei weitere Gastspiele: Simon Stones „Hotel Strindberg“, bei dem gerade mal Theater Basel und Burgtheater Wien kooperieren, sowie Anna Bergmanns Inszenierung von Ingmar Bergmans „Persona“ als Zusammenarbeit von Deutschem Theater Berlin und Stadsteater Malmö. Aber auch diese Einladungen beweisen, dass es ohne Zusammenarbeit kaum noch geht, im Zweifel auch über Sprach- und Nationengrenzen hinweg.
Allein: Das Theatertreffen 2019 zementiert auch eine Zweiklassengesellschaft im deutschsprachigen Theater. Auf der einen Seite steht das coole Koproduktionstheater, oft aus der freien Szene, meist mit Festivalhintergrund, das smooth und international von Stadt zu Stadt schwebt. Und daneben stehen die Staatstheater, unbewegliche, starre Institutionen, die sich mit solch einer Entwicklung schwer tun. Es ist kein Zufall, dass mit Ersan Mondtags „Das Internat vom Schauspiel Dortmund zwar solch eine Staatstheaterproduktion nach Berlin eingeladen wurde, beim Theatertreffen aber nicht gezeigt werden kann. Aus logistischen Gründen. Mit Logistik hat eine ohnehin ständig reisende Produktion wie „Unendlicher Spaß“ natürlich keine Probleme.
Ob diese Entwicklung positiv ist oder aber das deutsche Theatersystem auf lange Sicht von innen aushöhlt, ist noch nicht klar. Klar ist aber: Im Theater verändert sich gerade einiges. Und das muss man beobachten. fis