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Gabriele Uelsberg: „Corona weckt die Sehnsucht und die Sehsucht“

Gabriele Uelsberg LVR-LandesMuseum Bonn
Dr. Gabriele Uelsberg (Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn)

Museumsdirektorin Gabriele Uelsberg hofft auf ein nachhaltiges Bewusstsein über Sinnhaftigkeit und Kulturrelevanz. Warum der Homo Sapiens kein Sapiens ohne Kultur wäre.

Gabriele Uelsberg ist seit 2004 die Direktorin des LVR-LandesMuseum Bonn.

„Wenn uns dieser tückische Virus eines vor Augen hält und ins Bewusstsein bringt, ist es, dass wir den schmerzlichen Verlust nach Seherlebnissen, nach Hörgenüssen, nach Wortspielen und nach dem Lächeln unserer mundschutzgewappneten Mitbürgerinnen und Mitbürgern erleiden und sich ein Gefühl in unserer Welt breitmacht, dessen romantische Verklärung wir fast vergessen zu haben scheinen, nämlich die Sehnsucht. Die Sehnsucht nach dem, was uns Menschen als kulturelle Geschöpfe auf dieser Welt so auszeichnet und das zu uns dazugehört, wie das Essen und Trinken und das Atmen in einem Kosmos, in dem die Aus- und Eingrenzung von Menschen die neuen Gewohnheiten dominiert.

Wer hätte gedacht, dass ein Wort wie Systemrelevanz einmal zu einem Adelstitel heranwachsen würde, mit dem alles das ausgezeichnet wird, was Bedeutung für die Gesamtgesellschaft besitzt. Und wer hätte geglaubt, dass Museen, Konzertsäle, Theater, Galerien und Straßenkunst, auf die man scheinbar so leicht verzichten kann, sich als derart systemrelevant erweisen würden. Wir vermissen die Kultur und die Künste. Wir erleben unser „neues Leben“ als mangelhaft, als reduziert und um wesentlicher Faktoren beraubt.

Wir können uns darüber aber kaum austauschen, denn die Orte der Diskussion und Reflektion fehlen, wenn wir unsere Kultureinrichtungen geschlossen halten müssen. Sie sind, das erleben wir heute, mit besonderer Intensität keine Flaniermeilen der Beliebigkeit, sondern sie sind Plätze der Auseinandersetzung, der Reflektion und des aktiven Miteinanders, aus dem Neues erwächst und von denen man gestärkt und qualifiziert wieder weggeht.

Manchem von uns mag in den letzten Jahren und Jahrzehnten im hektischen Alltag eines auf Gigantomanien konzentrierten Kulturbetriebes selber die Sinnfrage gekommen sein, ob man wirklich zur Besserung des Homo Sapiens beiträgt. Wenn uns der Corona-Virus eines vor Augen führt, dann genau dies. Der Homo Sapiens wäre kein Sapiens ohne Kultur, ohne Kunst, ohne die Künstler und Einrichtungen, die nun in dieser Pandemie so stark beeinträchtigt und der Öffentlichkeit verschlossen bleiben müssen. Die Hoffnung, die sich daraus ergibt, ist, dass dieses Wissen um die Relevanz der Kultur und die Selbstvergewisserung unserer Sinnhaftigkeit im Handeln auch nach Corona weiterhallt – im Bewußtsein unserer Systemrelevanz.“

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