George Saunders: Zehnter Dezember
Was George Saunders mit seinem nunmehr fünften Kurzgeschichtenband „Zehnter Dezember“ gelingt, ist beachtlich: In zehn Erzählungen dividiert der US-Satiriker Moral und Menschlichkeit auseinander, und das auf eine Weise, die ebenso einfach zu lesen wie schwer zu verkraften ist. Saunders’ Geschichten schmerzen, sie lösen Beklemmung aus – und das müssen sie auch. Denn Saunders inszeniert moraltreues Handeln nicht als Luxus, sondern als Alternative zur Grausamkeit.
Ganz gleich, ob ein Junge den Verhaltenskodex seiner Eltern überwinden muss, um seine eigenen Vorstellungen vom richtigen Handeln zur Anwendung zu bringen, eine Familie durch einen Akt der Güte seitens der Tochter in die finanzielle Misere gestürzt wird oder ein alter Mann für die Rettung eines anderen Menschen seine eigenen Suizidpläne verwirft: Saunders schafft Momente menschlicher Wärme, die ihre Intensität dadurch erhalten, dass sie in Umgebungen stattfinden, die derartiges Handeln nicht begünstigen. Die Geschichten tragen sich wahlweise in nicht näher bestimmter Zukunft oder der Gegenwart beziehungsweise der verhältnismäßig jungen Vergangenheit zu, und immer wieder integriert Saunders en passant surreale Elemente in seine Erzählwelt.
Was jedoch all seine Teilwelten eint, ist, dass weder zeitliche noch lebensweltliche Verschiebungen den Geschichten ihre gegenwartskritische Sprengkraft nehmen. Saunders’ Figuren sind gewöhnlich, durchschnittlliche amerikanische Bürger, die in einem System leben, das zu gleichgültig, zu kalt und zu heuchlerisch ist. Ohne Witz sind Saunders’ Sätze nicht – die Schlussfolgerungen, die er anbietet, schon. So funktioniert Satire.