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Götz Alsmann

Ist er ein komischer Musiker oder ein musizierender Komiker? Schwer zu sagen, aber eins ist sicher: Die Musik der letzten 30 Jahre ist eher nix für Götz. Beweis: seine aktuelle „Tabu“-Tour.

citymag: Herr Alsmann, bei Ihnen wie auch bei Harald Schmidt oder Helge Schneider wird der Tiefgang so nebenher transportiert. Muss man sich in der deutschen Unterhaltungsbranche zum Clown machen, um Erfolg zu haben?

Götz Alsmann: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine große Überwindung kostete, ins Humorfach zu gehen. Ich glaube, dass man teilweise überrascht ist, wenn man den Tiefgang attestiert bekommt. Das Spannende an der Musik ist: Ein Lied mag einen noch so verquasten Text haben, plötzlich wird es zugänglich. Würde der Text als Gedicht vorgetragen, hieße es: Der hat sie nicht mehr alle.

citymag: Bei so manchem Liebeslied wäre ich vor 20 Jahren schreiend davon gelaufen.

Alsmann: Klar, damals hätte ich es auch nicht gesungen!

citymag: Es scheint mir aber nicht nur am Alter zu liegen, sondern auch an Ihrer Interpretation der Lieder.

Alsmann: Es liegt auch an meinem Alter! Ich glaube, dass diese Lieder nur singbar sind, wenn sie absolut pathosfrei dargeboten werden. Ein Vorbild ist Nat King Cole, der den Gesang revolutioniert hat. Im deutschen Sprachraum war Bully Buhlan der Pionier. Er war unerreicht in einer bestimmten Phase seines Schaffens. Durch eines solche Interpretation bekommen die Lieder eine ganz andere Unmittelbarkeit. Aber was habe ich vor 20 Jahren gehört? Damals wurde jeder halbwegs originelle Text einer englischen Band als Sensation und großes Songwritertum hingestellt. Und wenn jemand wie Reinhard Mey schon nahezu habituell interessante Texte auf seinen Platten veröffentlichte, wurde das praktisch nicht zur Kenntnis genommen. Auf die Pennälerlyrik eines Morrissey aber wurden sich direkt pro Stunde fünf, sechs runtergeholt.

citymag: Wie graben sie die alten, zum Teil längst vergessenen Lieder wieder aus? Ziehen Sie über die Flohmärkte?

Alsmann: Man kann da sehr viel finden. Aber das Ganze hat inzwischen eine andere Dimension erreicht. Es gibt Nachlässe von Musikern, von Komponisten. Man erfährt auch viel, wenn man mit den Witwen der Komponisten Kontakt hat. Und es werden Archive aufgelöst bei Plattenfirmen und in Rundfunkhäusern.

citymag: Wie viele Schallplatten besitzen Sie?

Alsmann: Tausende. Tausende, tausende, tausende.

citymag: Wie archivieren Sie die?

Alsmann: Alphabetisch.

citymag: Strikt alphabetisch?

Alsmann: Ja. Und dann habe ich noch eine Genredatei. Man braucht zwei Systeme, die parallel laufen. Ich mache ja auch meine Radiosendung, und wenn ich da meine Barmusik-Pianisten suche und einer auch in großen sinfonischen Unterhaltungsorchestern spielte wie z. B. Carmen Cavallaro, dann fällt das natürlich sofort aus dem Barmusik-Sektor raus.

citymag: Wo sind die Schallplatten denn alle untergebracht?

Alsmann: In einem eigenen Raum mit großen bibliotheksmäßigen Regalen.

citymag: Gibt es in den letzten Jahren irgendeine musikalische Entwicklung, die Sie mit Interesse, vielleicht sogar wohlwollend zur Kenntnis genommen haben?

Alsmann: Ich fürchte, ich habe mich noch mehr in meine eigene Welt zurück gezogen. Ich höre überhaupt keine Popmusik mehr.

citymag: Das ist Eskapismus!

Alsmann: Kann gut sein, obwohl es keine bewusst gefällte Entscheidung war. Wenn ich ins Auto einsteige, und da läuft ein von meiner Familie eingestellter Sender im Radio, mache ich das sofort aus. Ich empfinde das als Terror. Diese Einseitigkeit, mit der in Radio und Fernsehen vorausgesetzt wird, dass die Menschen alle diesen Mainstream-Pop- und Rockgeschmack haben, empfinde ich als echten Terror.

citymag: Wenn Sie jetzt alte Arrangements ausgraben, gehen Sie beim Neuinterpretieren manchmal recht rustikal zu Werke. Aktuelles Beispiel: „Ein kleiner Bär mit großen Ohren“ …

Alsmann: Das hat Horst Winter 1947 gesungen.

citymag: Sie haben es rhythmisch gewaltig aufgemotzt.

Alsmann: Mit Cha-Cha-Cha. Aber ich singe doch sehr dezent. Ich finde, dass Sentimentalität nicht automatisch ein langsames Lied braucht.

Interview: Jürgen Wittner

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