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Gorki Theater: Kolumnistin Mely Kiyak erhält den Kurt-Tucholsky-Preis

Gorki Theater: Mely Kiyak erhält den Kurt-Tucholsky-Preis
Gorki Theater: Mely Kiyak erhält den Kurt-Tucholsky-Preis (Foto: Svenja Trierscheid)

Gorki-Theater-Kolumnistin Mely Kiyak wird mit dem Kurt-Tucholsky-Preis ausgezeichnet. Die Verleihung findet am Sonntag, 12. September statt.

Das Gorki Theater ist stolz: Die hauseigene Theaterkolumnistin Mely Kiyak wird mit dem Kurt-Tucholsky-Preis ausgezeichnet. Sie erhält den Preis für ihr literarisches Schaffen in Kolumnen, Essays und ihr autobiografisch geprägtes Buch „Frausein“.

Kayak schreibt Kiyaks Theater Kolumne für das Maxim Gorki Theater seit 2013 alle zwei Wochen, während des mehrmonatigen Corona-Lockdowns schrieb sie sogar täglich. In ihren Texten reflektiert Kiyak das Weltgeschehen; laut dem Maxim Gorki Theater Berlin ist sie die weltweit einzige Theaterkolumnistin.

Gorki Theater: Die Begründung der Jury

Die Jury der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft begründet ihre Entscheidung so: „Kiyaks Stil, ihre Qualität, ihre Vielfalt, ihre Schärfe und ihr Witz sind nicht nur unverwechselbar, sondern in Ausdauer, Klarheit, Ernsthaftigkeit, Mut, Einsatzbereitschaft und Klugheit unbestechlich. Dabei sind ihre Bilder und Metaphern immer außergewöhnlich, nie Phrasen, immer überraschend. Doch hinter dieser Leichtigkeit steht hochwertige Präzisions- ja, man könnte auch sagen deutsche Wertarbeit. Die höchste Kunst des Autors, die Schwerstarbeit am Text, besteht darin, die Arbeit am Text unsichtbar zu machen. Kiyaks Texte sind so fein gearbeitet, dass man sie die Seidenstickerin unter den Kolumnisten nennen könnte. Kiyak arbeitet so konsequent streng an ihren Texten wie sie sich konsequent gegen Diskriminierung, Unrecht und politische Unverantwortlichkeiten ausspricht. In ihrem Schreiben erkennt man kämpferische Eigenständigkeit.“

Der Kurt-Tucholsky-Preis

Der Kurt-Tucholsky-Preis, benannt nach dem legendär scharfzüngigen Journalisten und Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890–1935) , wird alle zwei Jahre an engagierte deutschsprachige Publizist:innen oder Journalist:innen verliehen, deren Texte im Sinne Tucholskys der Realitätsprüfung dienen, Hintergründe aufdecken und dem:der Leser:in bei einer kritischen Urteilsfindung helfen. Bisherige Preisträger waren unter anderem der Journalist Denis Yücel, SZ-Koluminist und Publizist Heribert Prantl und Spiegel-Kolumnistin und Autorin Margarete Stokowski.

Die Preisverleihung aus dem Maxim Gorki Theater kann man am 12. September um 11 Uhr online verfolgen.

Die Dankesworte

Und weil sie so schön sind, hier Mely Kiyaks Dankesworte an die Jury in voll Länge:

Sehr geehrte Kurt-Tucholsky Gesellschaft,

als mich an einem Sonntagabend im Juni, kurz vor seinem Urlaub im Gebirge – Grödel an den Stiefeln, Eispickel in den Händen – mein lieber Verleger Jo Lendle in den späten Abendstunden anrief, war ich mir sicher, dass es sich um eine Nachricht von kolossal desaströsem Ausmaß handeln muss. Wir telefonieren nämlich immer erst, nachdem wir uns dazu verabreden. Dieses Telefonat aber war nicht verabredet.

Am besten überbringt man mir schlechte Nachrichten unverblümt, doch bekanntermaßen sind Verleger französisches Rokoko, und ich eher Bauhaus, weshalb ich ans Telefon ging und sagte: „Lendle, was immer es ist, wehe, Sie wickeln die Scheiße in Seidenpapier!“

Das machen Verleger nämlich ganz gern. Sie sagen nie: „Das Manuskript taugt nichts“, stattdessen: „Die Leser unseres Verlages sind noch nicht so weit“. Verleger überbringen einem miese Nachrichten, indem sie Zuckerwatte drumherum wickeln, dann glasieren sie die Katastrophe mit einem Guss in Pastellrosa und streuen ein topping aus Bonbonsplittern und anderem Streuselklimbim oben drauf. Wenn sie einen rausschmeißen, sagen sie nicht: „Raus!“, sie sagen: „In Fürstenwalde hat sich ein Independentverlag gegründet. Die sind auf Autoren wie Dich spezialisiert.“

Wenn man Glück hat, überreichen einem die Verleger als Abschiedsgeschenk eine Liste mit aktuellen Ausschreibungen für Stipendien und Stadtschreiberaufenthalten. Die Stadtschreiberaufenthalte sind dann meistens so, dass man statt eines Honorars einen Einkaufswagen mit Leergut geschenkt bekommt, und dann den Parkplatz im Gewerbegebiet möglichst hübsch beschreiben soll. Die Logis ist frei (meistens Einliegerwohnung im unbeheizten Schloss), aber immer ohne Fahrtkosten. Die Stadtschreiberwohnungen liegen häufig in den Grenzgebieten Pluto zu Merkur, Saturn zu Uranus. Auf diese Weise verlor ich viele Kollegen. Sie sind zum Städteaufschreiben hingefahren, hatten für die Rückreise nach Berlin aber kein Geld mehr. Seitdem sind sie weg, im Munzigerarchiv steht dann: „Vermutlich am Leben, Aufenthaltsort unbekannt.“

Für Autoren wie mich gibt es nur zwei Gründe, warum man vom Verleger spätabends nach Feierabend am Wochenende angerufen wird. Handelt es sich nicht um einen Rauswurf, erhält man garantiert den Integrationspreis der Stadt Duisburg. Als es noch den Adalbert-von-Chamisso-Preis für alphabetisierte Ausländer gab, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als diesen Preis zu erhalten. Nur damit ich ihn – begleitet von großem medialen Tammtamm – ablehnen würde. Darüber schrieb ich einmal in einer Kolumne und kurz danach wurde der Ausländer-von-Chamisso-Dürüm in der Kategorie „Sie sprechen aber schön deutsch“ wieder abgeschafft. Ich konnte das Spektakel nie veranstalten.

Vielleicht, so dachte ich noch in einer kurzen Hoffnungssekunde, überbringt mein Verleger mir die dringende Bitte des Marbacher Literaturarchivs, mein Lebenswerk in Kirschbaumvitrinen bewahren und ausstellen zu dürfen. Unter anderem habe ich einen sehr umfangreichen Briefwechsel mit Kollegen, die ich beleidigte. Man kann über mich nämlich sagen, was man will, aber beleidigen kann ich sehr gut. Der Chefredakteur der Zeitschrift Titanic schrieb mir einmal einen Brief, indem er sich bei mir darüber beklagte, dass seine Abonnenten ihm reihenweise wegen mir kündigten. Sie fühlten sich durch meine Kolumnen im Blatt beleidigt. Und das, obwohl ich noch nie in meinem Leben eine Zeile für die Titanic geschrieben hatte! Ich glaube, es war von „Mely Kiyaks Geist“ die Rede und ich dachte damals schon, wenn die meinen Geist bereits als beleidigend finden, wie fänden sie erst das Original?

Mein großes Beleidigervorbild (und Gründer der Tucholsky-Stiftung) Fritz J. Raddatz schrieb seine Beleidigungen ins Tagebuch, von wo aus sie in die Öffentlichkeit gelangten, (weil sie verlegt wurden) und auf diesem Weg beim Beleidigten landeten. Eine, wie ich finde, ebenfalls sehr elegante Lösung. Bei Raddatz las ich übrigens auch die tolle Geschichte, wo er beschreibt, wie er einmal zu einer Soirée mit Champagner und edlem Silberbesteck in seine Hamburger Villa lud. Die luxuriösen Blumenbouquets bogen sich aus den hohlen Torsi der antiken Statuen im Foyer, die Hummer leuchteten fluoreszierend in einer Safranreduktion. Geladen waren Autorenkollegen, unter anderem Uwe Johnson, der ihm als Gastgeschenk eine knittrige Taschenbuchausgabe seines, also Johnsons, letzten Romans überreichte. Was soll man sagen? Man liest es, lacht sich kaputt und denkt: Schampus in Autoren bringt nichts. Es bringt einfach gar nichts.

Lendle, mein Verleger, und wie immer in Autoren-Verleger-Verhältnissen ein bisschen natürlich auch eine Vaterfigur, allerdings die moderne Version mit der unerschütterlichen Empowermentpose („Mely, machen Sie das! Sie schaffen das! Ihr Schreiben ist mollig but beautiful“) rief mich also an einem späten Sonntag Abend im Juni an. Nicht etwa um mir mitzuteilen, dass ich nach Duisburg muss, sondern, um mir zu sagen, dass ich die diesjährige Kurt-Tucholsky-Preisträgerin sein werde und dass er mir herzlich zur Auszeichnung gratuliere. Einziger Haken: Die Sache sei hochgeheim. Ich dürfe bis zur offiziellen Verkündung kein Wort darüber verlieren – und dann legte er auf.

Zurück blieb ein Mensch in unendlichem Aufruhr.

Nur Gott weiß, wie ich in den Tagen und Stunden bis zur Pressemitteilung der Tucholsky-Gesellschaft litt. Dazu muss ich sagen, dass ich außer dem 1. Platz im Vorlesewettbewerb Op Plattdüütsch nie eine Medaille erhielt – wenn man den Teddybären und die Fanta abzieht, die man mir im Sommer 2015 an Gleis 11 im Hauptbahnhof Berlin ins Gesicht drückte. Versehentlich natürlich, denn ich kam nicht vom Balkan sondern aus Branitz. Beziehungsweise aus Cottbus, wo ich immer mal hinfahre, um im Fürst-Pückler-Park einen Nachmittag zu verbringen. Da sich 2015 nicht wiederholen darf, blieb es mein letzter Teddy.

Als die Entscheidung der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft dann endlich bekannt gegeben wurde, fühlte ich mich für einen schönen Moment selbstsicher in dem was ich tue, nämlich schreiben.

Mit diesem Brief wollte ich mich gerne vor dem 12. September bei Ihnen melden. Ich werde da sein. Und falls vorgesehen, auch sprechen. Dann sehen wir uns, zusammen mit dem wunderbaren Laudator Max Uthoff.

Noch ein letztes und eigentliches Wort: Man sagt manchmal leichtfertig dahin, dass etwas eine Ehre sei, doch meine ich es sicher so. Dieser Preis ist eine Freude, eine Ehre und eine Verpflichtung. Die Verpflichtung, im Schreiben genauer und im Urteil nie stumpf zu werden. Er ist vor allem eine Verpflichtung weiter an ihn, an Kurt Kasper Peter Ignatz Theobald Tucholsky zu denken und ihn zu lesen.

Danke, dass Sie mit Ihrer Arbeit an ihn erinnern – und danke, dass Sie mich auszeichnen!

Selam

Ihre Seidenstickerin

Mely Kiyak

 

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