György Dragomán: Der Scheiterhaufen
Emma ist 13 Jahre alt und Vollwaise. Ihre Eltern, erzählt man ihr, seien bei einem Autounfall ums Leben gekommen, seitdem lebt Emma in einem Internat – bis eine ihr unbekannte Frau vorstellig wird; sie sei Emmas Großmutter und würde das Mädchen in ihre Obhut nehmen. Wenngleich nicht frei von Skepsis, geht Emma mit der alten Dame, die ihre Eltern mindestens gut gekannt zu haben scheint. An ihrer neuen Schule muss Emma erkennen, dass das, was ein Neubeginn hätte sein können, das exakte Gegenteil ist: Ihre Großmutter, heißt es, sei ein Spitzel gewesen, eine Handlangerin des erst kürzlich überwundenen Gewaltregimes, und auch über Emmas verstorbenen Großvater spricht man noch. Den Vorwurf, auf der falschen Seite zu stehen, trägt Emma als Erbschuld mit sich herum, die jedem sozialen Umgang die Eigentlichkeit raubt. Bemerkenswert an György Dragománs düsterem Roman ist zuvorderst sein Umgang mit dem Element des Phantastischen. Ereignet sich im Hause von Emmas vermeintlicher Großmutter doch allerlei Übernatürliches, wird nicht der Bruch mit einer Vorstellung von Realität, wie sie der Leser haben mag, zur narrativen Unzuverlässigkeit. Rituale etwa, die sich dergestalt sicher nicht in Ottonormalküchen vollziehen, sind so anlass- wie erklärungslos Teil von dem, was Emma als gegeben hinnimmt – das Geflecht aus Gerüchten und Halbwahrheiten indes, das ihre Familiengeschichte umrankt, gilt es auf eigene Faust zu entwirren. Mit seiner sinistren Variante magischen Realismus entwindet Dragomán seinen Stoff einem historisch zugespitzten, allzu intellektuell geprägten Zugriff auf seinen Stoff. „Der Scheiterhaufen“ erzählt eine Geschichte, die so wahr ist, wie sie sein könnte – und vielleicht noch wahrer. Das ist berückend, und nicht weniger sollte es sein.