„Halt auf freier Strecke“ bei Arte: Der Tumor sitzt bei Harald Schmidt

Als Frank plötzlich einen inoperablen Gehirntumor diagnostiziert bekommt, steht seine Familie vor einer eigentlich untragbaren Situation …
Heute bei Arte und bis 30. November in der Arte-Mediathek zu finden: „Halt auf freier Strecke“ von Andreas Dresen, ein erschütterendes Sterbedrama. Der Wartebereich in einem Krankenhaus. Das Ehepaar Frank und Simone (Milan Peschel, Steffi Kühnert) wird aufgerufen. Der Neurochirurg teilt ihnen mit sanfter, sachlicher Stimme mit, dass Frank an einem inoperablen Gehirntumor leidet, erklärt am Bildschirm Lage und Größe des Geschwulstes, beantwortet die hilflosen Nachfragen, füllt das entsetzte Schweigen mit „Hmhs“ und „Ahas“, geht zwischendurch ans Telefon. Seine Prognose: ein paar Monate noch …
Der Arzt ist echt, und der Anruf auch, Zufall in einer auf maximalen Realismus setzenden Inszenierung. Geprägt vom Hirntumortod des eigenen Vaters hat Andreas Dresen ein Sterbedrama gedreht, das minutiös die Zeit bis zum Tod seiner Hauptfigur abbildet. Mit Handkamera filmt Dresen seine Schauspieler, die Verzweiflung und Wut, und auch Trotz und Kraft so glaubhaft abbilden, dass man davonlaufen möchte. Frank und seine Frau Simone sind gerade erst mit der pubertierenden Tochter Lilli und dem achtjährigen Sohn Mika ein Reihenhaus am Berliner Stadtrand gezogen. Dort steht Frank nun im Schlafzimmer und schaut mit leeren Augen auf die erst nasse und herbstliche, dann winterlich-öde Landschaft, Spiegelbild seines eigenen Vergehens. Er sieht im Fernsehen seinen Tumor als Gast bei Harald Schmidt, beginnt ein Videotagebuch auf seinem iPhone. „Ich habe einen Gehirntumor. Das ist nicht lustig.“, sagt er in das Gerät, und eine Sprach-App wiederholt seine Worte mit verzerrter Stimme. Der Tod, so scheint es, kann doch nicht wahr sein, wenn er nur ein Spaß ist.
Dresen hat Peschel, Kühnert und den anderen viel Raum zum Improvisieren gelassen, und so entwickelt es eine ungeheure Wucht, wenn Franks Vater seinen Sohn weinend an sich drückt oder ein früherer Postkollege Frank zum Baumarkt mitnimmt und eigentlich nur fliehen möchte vor dem immer verwirrteren Todgeweihten. Dresen filmt da weiter, wo andere wegblenden und ist dabei doch nie voyeuristisch, sondern stets voller Mitgefühl. Franks Kinder erfassen die Situation in ihrer Dramatik nicht. Ein lang geplantes Wochenende im Urlaubsland Tropical Island muss wegen Franks Zustand mitten in der Nacht abgebrochen werden. Lilli macht ihrem Vater Vorwürfe, der verteidigt sich: „Ich kann doch auch nichts dafür!“
Es folgen: tumorbedingte Aggressionen, Augenblicke inniger Zärtlichkeit, Frank erst an Krücken, dann im Rollstuhl, im Krankenbett. Mit rasiertem Kopf in fötaler Stellung sieht er aus wie ein Säugling – das Leben kehrt an seinen Ausgangspunkt zurück, bevor es erlischt. „Halt auf freier Strecke“ erzählt vom Tod und dass es danach weitergeht, weitergehen muss, so banal das auch ist. „Ich muss zum Training“, sagt Lilli, als ihr Vater entschlafen ist. Dann ist der Film vorbei.