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Hamburger Kunsthalle: „Femme fatale – Blick – Macht – Gender“

Hamburger Kunsthalle Femme fatale
BIRGIT JÜRGENSSEN (1949–2003), Ohne Titel (Olga), 1979 Birgit Jürgenssen (1949–2003) Ohne Titel (Olga), 1979 SX 70 Polaroid, 10,5 x 8,7 cm (Foto: © Birgit Jürgenssen, Estate Birgit Jürgenssen / VG Bild-Kunst, Bonn 2022; Courtesy Galerie Hubert Winter, Foto: pixelstorm)

Die Hamburger Kunsthalle zeigt „Femme fatale – Blick - Macht - Gender“. Wir fragten Kurator Dr. Markus Bertsch, worum es dabei geht.

Herr Dr. Bertsch, Sie kuratieren in der Hamburger Kunsthalle die Ausstellung „Femme fatale – Blick – Macht – Gender“. Der Typus der Femme fatale hat seinen Ursprung oft in historischen Personen, antiken Mythen und dem Alten Testament. Ist Frauenfeindlichkeit zeitlos?

Dr. Markus Bertsch: Ja, im Endeffekt gibt es in jeder patriarchalen Gesellschaft – und damit eigentlich schon immer – Frauenfeindlichkeit. Jedoch wurden die Frauenfiguren aus den Mythen und Erzählungen oftmals erst über die Kunst und Literatur zu Femmes fatales stilisiert. So war beispielsweise Medusa in Ovids „Metamorphosen“ nicht nur menschlich, sondern vor allem auch Opfer einer Vergewaltigung durch den Meeresgott Poseidon. Als die Göttin Athene sie bei dem vermeintlichen Liebesakt sah, war sie so empört vor Eifersucht, dass sie die schöne Medusa zu einem schlangenhaarigen Monster verwandelte. Was sich aber nun letztlich über die Kunst im kollektiven Gedächtnis festsetzte, war Medusas dämonisierte Gestalt. Antike Mythen können allerdings neu erzählt werden. In diesem Sinne ist die Auseinandersetzung mit dem Femme-fatale-Bild insbesondere auch eine Chance, die Mythen aus einer feministischen Perspektive aufzugreifen und neu zu betrachten.

Dr. Markus Bertsch von der Hamburger Kunsthalle im Anzug
Dr. Markus Bertsch von der Hamburger Kunsthalle Foto: Romanus Fuhrmann

Wenn man sich Fotografien von Helmut Newton anschaut, aber auch abseits der Bildenden Kunst Wedekinds „Lulu“ oder Bizets „Carmen“, so sind das auch Vamps und Femme fatales, aber es wurden auch ihre Freiheitsliebe, Selbstbewusstheit und selbstbestimmte Sexualität positiv rezipiert. Ist die Femme fatale also auch ein zweischneidiges Schwert?

Dem Projektionsbild der Femme fatale wohnt immer eine Ambivalenz und Spannung inne, die zu dessen Grundbedingungen gehört. Einerseits die Anziehung, die sich in erster Linie an deren äußeres Erscheinungsbild knüpft, andererseits aber auch der Faktor, diesem Frauentypus zu verfallen und dadurch in der eigenen Existenz bedroht zu werden. Dass jedoch die als ‚fatal‘ deklarierte Frau dabei oftmals auch ihr Leben lässt (Lulu, Carmen), wird vor dem Hintergrund der männlichen Selbststilisierung als Opfer gern übersehen. Die Femmes fatales zahlen damit den höchstmöglichen Preis für ihre vermeintliche Freiheitsliebe und ihr Selbstbewusstsein.

Das Gemälde „Circe offering the cup to Ulysses“ von John William Waterhouse
John William Waterhouse (1849–1917), Circe offering the cup to Ulysses, 1891, Öl auf Leinwand, 148 cm × 92 cm
Foto: © Gallery Oldham

Feministische Künstlerinnen wie Valie Export, Ketty La Rocca oder Maria Lassnig haben die Femme Fatale ab den 60ern schlagfertig dekonstruiert, #MeToo und der moderne Gender Shift dürften ihr den Rest gegeben haben. Haben sie?

Im Grunde haben schon die frühen Feminist:innen dem klassischen Bild der Femme fatale den Rest gegeben. In der aktuellen Kunstproduktion und gerade mit Bezug zu Gender-Themen und der #MeToo-Bewegung passiert noch mehr. Die Femme fatale gibt es dort eigentlich nicht mehr, teilweise werden sich aber Fragmente und Spuren der Figur neu angeeignet oder umgedeutet – häufig mit emanzipatorischen und queeren Ansätzen. Gleichzeitig gibt es auch eine starke Tendenz, sich grundsätzlich mit den patriarchalen und sexistischen Strukturen in Kunst und Kunstgeschichte auseinanderzusetzen – die das historische  Femme-fatale-Bild ja schließlich erst hervorgebracht haben, die aber auch heute noch wirksam sind.

Interview: Volker Sievert

„Femme fatale – Blick – Macht – Gender“ läuft vom 9. 12. bis 10. 4. 2023.

Mehr Infos gibt es hier.

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