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Hannelore Cayre: Die Alte

Hannelore Cayre: Die Alte, Cover
Hannelore Cayre: Die Alte, Cover

Hannelore Cayre erzählt in „Die Alte“ von einer Frau, die ihre Arbeitskraft in kriminelle Machenschaften investiert – und damit weitaus erfolgreicher ist als bei ihrem prekären, staatlichen Job.

1200 Kilo Hasch in den Keller zu schleppen, ist nicht nur für eine 53-jährige Frau ein Knochenjob. Doch Madame Patience Portefeux denkt dabei natürlich an die mehreren Millionen Euro, die ihr der Qualitätsstoff bringen wird. Da sie fließend Arabisch spricht und täglich für das Drogendezernat Mitschnitte von abgehörten Telefonaten übersetzt, verfolgt sie wie in einer Daily-Soap die immer zahlreicheren Drogenlieferungen, die von Nordafrika per Laster in Paris eintreffen. Und da ausgerechnet die Mutter einer dieser Kuriere ihre bettlägerige Mama pflegt, warnt sie diese aus Mitgefühl und stillem Respekt vor einem Polizeizugriff – und sackt instinktiv selbst das Dope ein, als es hastig am Straßenrand versteckt wird. Auch wenn der geprellte Familienclan vorerst von der Polizei aus dem Verkehr gezogenen wird, will Patience das Topzeug nun schnell verticken. Durch ihren Job kennt sie die French-Arabics-Szene, und sie ist vertraut mit den Preisen und dem Dealersprech. Mit Skrupellosigkeit und Cleverness verschafft sich „Die Alte“ schnell Respekt bei den Möchtegern-Gangstern, die zwar ganz bös auf dicke Jogginghose machen, aber im Kopf nur halb so schnell sind wie die Mittfünfzigerin. Nur Patience‘ Bullenfreund Philippe darf keinen Wind von der Sache bekommen …

Eine Mittelstandsfrau fühlt sich vom Leben betrogen. Dabei dachte sie in jungen Jahren noch, sie hätte Zeit und Geld, auf der ganzen Welt Feuerwerke zu bestaunen und in Paris ein gutbürgerliches Leben zu führen. Doch seit ihr Mann vor über zwanzig Jahren tot in den Salatteller gekippt ist, steht sie mit den beiden Töchtern allein da. Patience musste aus dem Luxusappartement in eine trostlose Kleinwohnung ziehen und zusehen, wie die Pflege der todkranken Mutter ihre Ersparnisse auffrisst. Jetzt ergreift sie egoistisch ihre Chance, pfeift auf Moral und Gesetze, und zieht ihr Ding gnadenlos durch. Hannelore Cayres humorvolle Abrechnung mit gesellschaftlichen Missständen wie der geschürten Angst vor Migranten ist zugleich eine intelligente Kapitalismuskritik. Eine Frau investiert ihre Arbeitskraft in kriminelle Machenschaften – und ist damit weitaus erfolgreicher als bei ihrem prekären, staatlichen Job. Patience Portefeux lernt, was ein marokkanischer Koffer ist und warum ein Gefängnisparkplatz der beste Ort für einen Drogendeal ist. Das bringt sie weiter, als weiterhin brav zu buckeln. Mit „Die Alte“ legt Hannelore Cayre eine genüsslich überzeichnete Abrechnung aus der Sicht einer starken Frau vor, die uns mit ausgestrecktem Finger genüsslich entgegenschreit: „Je baise ta mère!“

Nils Heuner

Hannelore Cayre Die Alte
Ariadne, 2019, 208 S., 18 Euro
Aus d. Franz. v. Iris Konopik

 

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