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Helge Burggrabe macht die Menschenrechtserklärung intuitiv erfahrbar: „Human“

Helge Burggrabe Porträt Schwarz Weiß
(Foto: Andrea Friederichs du Maire)

Der Komponist Helge Burggrabe widmet seine jüngste Komposition der Menschenrechtserklärung. Wir haben mit ihm über „Human“ gesprochen.

In etwa zwei Jahren jährt sich die Erklärung der Menschenrechte zum 75. Mal. Doch wie steht es heutzutage um sie? Diese Frage stellt der Komponist Helge Burggrabe mit seinem neuen Projekt „Human“: Einer wortlosen Komposition, die es sich zum Ziel macht, die 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte auf ihre Essenz zu konzentrieren – und so universell und über sprachliche und kulturelle Grenzen erfahrbar zu machen. Wir haben mit Helge Burggrabe über „Human“, die Menschenrechtserklärung, seine Ziele und die formellen Herausforderung eines solchen Unterfangens gesprochen.

Helge, du hast die 30 Artikel der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ für dein Projekt „Human“ in 11 Kernthemen zusammengefasst und diese musikalisch vertont. Du rahmst sie mit „Birth“ und „Death“ ein. Wie bist du dabei vorgegangen, dieses gewichtige Dokument auf seine Essenz zu reduzieren? 

Helge Burggrabe: Es war mir schnell klar, dass 30 einzelne Kapitel für eine künstlerische Umsetzung der Menschenrechte mit Musik und Tanz zu kleinteilig geworden wäre. Daher fragte ich mich, ob sich nicht jeweils mehrere Kapitel bündeln ließen in Kernthemen, die gewissermaßen den Menschenrechten zugrunde liegen.

Natürlich ist das Ergebnis von elf Kernthemen nur eine mögliche Interpretation, doch in der Verbindung mit „Birth“ zu Beginn und „Death“ am Ende entstand für das Kulturprojekt „Human“ nun eine Dramaturgie, die wie in einem Lebenskreis die Grundbedingungen des Menschseins beschreibt. Es geht um alle Menschen verbindende Bedürfnisse und Sehnsüchte nach Freiheit, Gleichheit, Heimat oder Schutz, also Grundthemen, die sich wie rote Fäden durch die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ ziehen.

Ein Beweggrund hinter deinem Projekt „Human“ war der Abgleich zwischen den Zielen der Erklärung der Menschenrechte und der Realität, in der wir leben. Was war dein Ergebnis? Gibt es Artikel, an deren Erfüllung wir näher stehen als bei anderen? Ist die Erklärung noch zeitgemäß oder hat sie im 21. Jahrhundert blinde Stellen? 

Burggrabe: Auch nach fast 75 Jahren sind die UN-Menschenrechte leider bei Weitem noch nicht umgesetzt, wie uns die wichtige Arbeit von Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch dramatisch vor Augen führt. Solange noch politische und wirtschaftliche Einzelinteressen über das Gemeinwohl gestellt werden, haben es die Menschenrechte schwer.

Insofern gibt es vielleicht tatsächlich einen blinden Fleck: Es reicht nicht, nur Rechte einzufordern, ich muss als einzelner Mensch, als Gesellschaft, aber auch als Institution, Firma oder Regierung auch selbst diese Werte vertreten und leben. Aus diesem Ansatz heraus wurde bereits im Jahr 1997 der Entwurf einer „Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten“ erarbeitet.

Zu einer funktionierenden Gemeinschaft gehören Rechte, aber eben auch Pflichten, das, was vom Einzelnen eingebracht werden muss. Das Projekt „Human“ möchte in diesem Sinne einen Beitrag leisten, mit Musik, Tanz und inhaltlicher Diskussion die Grundgedanken der Menschenrechte so „zu bewegen“, dass sie zu einer eigenen Haltung werden können.

Wichtig erscheint mir zudem die Frage, ob die Menschenrechte heutzutage nicht erweitert werden müssten zu „Allgemeinen Lebensrechten“, wie sie beispielsweise in der „Erd-Charta“ formuliert werden, da das vorherrschende anthropozentrische Weltbild ganz offensichtlich einen wesentlichen Anteil hat an der gegenwärtigen Klimakrise.

Bewegung und Musik sind deine Sprache in diesem Projekt. Du verzichtest ganz bewusst auf Sprache – dem Medium, in dem die Menschenrechtserklärung verfasst ist. Glaubst du, ihr fehlt eine intuitiv erfahrbare Dimension? Möchtest du diese mit deinem Projekt anbieten?

Burggrabe: Am Beginn der Entwicklung des „Human“-Projektes stand auch die naheliegende Variante einer Vertonung des konkreten Textes der Menschenrechtserklärung. Doch ein solches Vokalwerk verwarf ich recht bald aufgrund des Dilemmas, mich für eine Sprache entscheiden zu müssen.

Da aber die Idee der Menschenrechte universell ist und eben auch potenziell alle Menschen angesprochen werden sollen, erschien mir Musik und Tanz als universell verständliche Sprache als die passende künstlerische Umsetzung.

Musik und Tanz gehen über das geschriebene und gesprochene Wort hinaus und öffnen weitere Räume. Aber es bleibt dadurch natürlich immer bei Annäherungen, denn ein großes Menschenrechtsthema wie die Unfreiheit und die Sehnsucht nach Freiheit kann natürlich sehr unterschiedlich mit Musik ausgedrückt werden und mein Orchesterstück ist nur eine mögliche Variante.

Mein Traum ist allerdings, dass mit dem „Human“-Projekt die Menschenrechte nicht nur abstrakte Forderungen bleiben, sondern in der Tat eine intuitiv erfahrbare Dimension erhalten und somit für Menschen unterschiedlichster Kulturen unmittelbar erlebbar werden.

Welche Erfahrung möchtest du in den Menschen auslösen, die „Human“ hören? Wünscht du dir ein sachbezogenes Interesse und hoffst, dass dein Publikum sich daraufhin selbst – etwa durch Recherche – künftig fortbildet? Anders gefragt: Hat deine Musik für dich einen Lehrauftrag?

Burggrabe: Sowohl bei den Musiker:innen und Tänzer:innen, die das „Human“-Projekt erarbeiten und auf die Bühne bringen, als auch beim Publikum der Aufführung, aber auch bei möglichen „Human“-Projekten an Schulen im Rahmen der dortigen Menschenrechtsbildung geht es darum, mit zentralen Themen des Menschseins in Berührung zu kommen.

Mit den Mitteln der Kunst kann die gerade in der heutigen Zeit so wichtige Grundfrage bewegt werden: Wie wollen wir eigentlich zusammenleben, in aller Unterschiedlichkeit? „Human“ möchte Impulse und Anstöße geben, aber wie sich dann Menschen weiter damit beschäftigen und zu welchen Antworten sie kommen, ist völlig freigelassen.

Insofern ist „Human“ für mich ein freies Kulturprojekt ohne konkreten Lehrauftrag, das jedoch einen kreativen Beitrag zum aktuellen Diskurs der Menschenrechte und dem anstehenden Jubiläum „75 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ im Jahr 2023 leisten möchte.

Dein Projekt erscheint auf CD und LP, ist aber als Tanzkonzert angelegt. Glaubst du, die Musik liefert die Erfahrung, die du dir in den Hörer*innen wünscht auch allein? Oder vertröstet sie uns nur bis 2022, wenn wir „Human“ als Performance sehen können? 

Burggrabe: Beim Komponieren der „Human“-Musik begleitete und inspirierte mich immer die Vorstellung, dass zu dieser Musik Choreografien entstehen würden und Menschen tanzen werden. Doch natürlich sollte die Musik im Sinne einer Orchestersuite auch für sich stehen und dramaturgisch funktionieren.

Als dann die CD-Aufnahme mit den fantastischen Musiker:innen des Deutschen Kammerorchesters Berlin und von Elbtonal Percussion unter der Leitung von Duncan Ward entstand, war ich erleichtert und erfreut, dass die Musik anscheinend so abwechslungsreich und bildreich ist, dass sie tatsächlich für sich steht.

Die Vertonung von so kontrastreichen Themen wie Heimat und Fremde oder Freiheit und Unfreiheit weckt in jeder Hörerin oder jedem Hörer bereits unterschiedliche Assoziationen, sodass es sogar interessant ist, nicht gleich schon eine Weiterführung und Interpretation der Themen durch Tanz geliefert zu bekommen.

Trotzdem freue ich mich bereits auf Tanzaufführungen ebenso wie auf Orchesterkonzerten mit Rezitation und unabhängig davon kann man jederzeit bereits in die HUMAN-Musik eintauchen durch die nun digital und als CD und LP vorliegende Aufnahme.

„Human“ im Steam auf Spotify 

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