Hochpolitisch: Emmanuel Peterfalvi ist Alfons
Alfons hat ein neues Programm: „Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Und gibt es dort genug Parkplätze?“ Weiß Emmanuel Peterfalvi darauf Antworten? kulturnews hat ihn gefragt – und sehr politische Antworten erhalten.?
Herr Peterfalvi, Ihr Urgroßvater wurde von den Deutschen in Auschwitz ermordet. Ihre Großmutter konnte aus dem Konzentrationslager fliehen. Sie haben darüber in Ihrem vorherigen Programm erzählt. Was macht es mit Ihnen, wenn gerade jetzt, während wir miteinander sprechen, mit Björn Höcke ein Faschist im Thüringer Landtag als Ministerpräsident zur Wahl steht?
Emmanuel Peterfalvi: Das macht einiges mit mir, wobei ich befürchte, dass es kein deutsches Problem ist, sondern längst ein weltweites. Es macht etwas mit mir, aber nicht, weil es in Deutschland passiert. Le Pen in Frankreich – ich rede jetzt vom Vater – hat schon vor langem aus Spaß mit Hitlerzitaten provoziert. Mir macht der Rechtsruck, den es derzeit weltweit gibt, Sorgen. Ich hätte aber nicht gedacht, dass dieser Virus sich in Deutschland so stark verbreiten würde. Es ist unglaublich, dass das nach wenigen Generationen schon wieder möglich ist.
Zu Beginn Ihres neuen Programms beziehen Sie klar und vor allem mit viel Spott Stellung gegenüber der AfD. Was kann ein Entertainer auf der Bühne politisch erreichen?
Peterfalvi: Das ist eine gute Frage. Mir ist es wichtig klarzumachen, warum ich etwas gegen die AfD sage. Sie ist eine Partei, die Hass verbreitet und leider mit Talent die Ängste, die eh schon da sind, verstärkt. Unsere Gesellschaft in Deutschland spaltet sich im Moment sehr stark, und eine große Gefahr ist zu denken, dass alle AfD-Wähler Idioten sind. Ich versuche zu differenzieren und bemühe mich, mit Wählern der Partei in Kontakt zu kommen.
AfD-Wähler gehen auf Sie zu?
Peterfalvi: Neulich hatte ich einen Fernsehbeitrag über die AfD gemacht. Danach bekam ich eine Mail von einem Zuschauer, die sehr aggressiv begann. Allerdings wurde der Ton im Laufe der Mail anders und irgendwann gestand der Zuschauer, dass ich ihn zum Nachdenken gebracht hätte. Ich kann nicht sagen, dass der Mann die AfD nicht mehr wählt, aber seine Nachdenklichkeit war für mich schon ein kleiner Sieg.
Auf der Bühne erleben wir einen Alfons, der einen unkitschigen, vitalen und regelrecht ansteckenden Lebensmut ausstrahlt. Woher kommt dieser Optimismus, wer hat Ihnen das vererbt?
Peterfalvi: Das nehme ich erst mal als ganz großes Kompliment. Woher das kommt, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass es ein Teil von mir ist, und diesen Teil lebe ich in Alfons voll aus. Vielleicht kommt es ein bisschen von meiner Großmutter, vielleicht ist es einfach angeborenes Temperament. Wichtig aber ist: Es ist nur ein Teil von mir, wenn Sie Alfons sehen, wie er sich freut, dass er sich vor dem Publikum so sehr austoben darf. Es ist eine wahre, ehrliche Freude für mich, Geschichten zu erzählen und damit mein Publikum zu berühren. Natürlich ist es toll, Menschen zum Lachen zu bringen, aber das alleine würde mir nicht reichen.
Der Alfons auf der Bühne ist ja so was wie das Kind im Mann. Nicht umsonst erzählen Sie so viel aus Ihrer Kindheit. Wie viel Wahrheit steckt in diesen Geschichten?
Peterfalvi: Es gibt immer wahre Wurzeln, ich schaffe es nicht, alles zu erfinden. Es sind dann Dinge, die ich erlebt habe und auf die ich die Lupe halte, um sie zu vergrößern. Immer wenn ich mir vornehme, mal etwas komplett zu erfinden oder etwas zu machen, wo keine Kinder vorkommen, endet das in Katastrophen. Ich muss dann noch einmal von vorne anfangen. Mittlerweile nehme ich das als Zeichen.
Warum ist die Kindheit die Quelle Ihrer Geschichten?
Peterfalvi: Ich habe mal gesagt: Das Leben ist eine Reparatur der Kindheit. Meiner Meinung nach ist das für alle so. Die Kindheit formt uns, ob wir es wollen oder nicht. Sie hinterlässt Spuren für das ganze Leben. Schaut man in die Kindheit zurück, sieht man Dinge, die einiges erklären
Im neuen Programm geht es um den kleinen Alfons, der mit seiner Mutter umzieht ins 5. Arrondissement, in die Nähe eines Naturkundemuseums. Ein Forscher aus diesem Museum wohnt bei Ihnen auf der gleichen Etage. Der läuft immer im Bademantel und ohne Unterhose durchs Haus und schließt sich ständig selbst aus. Von dem lernt der kleine Alfons sehr viel. Auch der von allen im Haus nur „Stalin“ genannte Kommunist und sein Hund Trotzki wird für Alfons noch eine wichtige Rolle spielen. Sind diese prägenden Figuren Erfindungen, oder waren sie real?
Peterfalvi: Das Haus gab es wirklich, die Concierge natürlich auch, auch den Kommunisten im vierten Stock, den alle nur Stalin nannten. Unser Nachbar vom fünften Stock ist wirklich im Bademantel über den Balkon vor meinem Zimmer in seine Wohnung gestiegen, allerdings beschwerte sich meine Mutter, als ich ihr erzählte, dass er das im Stück zwei Mal in der Woche macht. Sie besteht darauf, er habe es insgesamt nur einmal gemacht. Ich habe da eine ganz andere Erinnerung.
Das Stück lebt von zwei ganz wichtigen Bildern: Einmal sind das die Bewohner des Hauses, die zunächst regelrecht verfeindet sind und dann solidarisch zueinander finden. Und dann ist da das Naturkundemuseum mit seiner Geschichte von den Vorfahren der Menschen, die lernen aufrecht zu gehen – eine unheimlich wichtige Metapher auch für heute. Die ganze Geschichte ist praktisch, obwohl im Privaten verortet, hochpolitisch.
Peterfalvi: Dieses Haus ist eine Metapher für die Welt und damit automatisch politisch. Nicht im Sinne von Tagespolitik, aber im Sinne von: Was machen wir mit der Menschheit? Wir haben ja Verantwortung. Wir sollten uns im ersten Schritt zumindest mal dieser Verantwortung bewusst werden und im zweiten Schritt ein paar wichtige Dinge entscheiden. Das ist hochpolitisch, auch wenn es mit SPD, CDU und AfD nichts zu tun hat. Wie hinterlassen wir unsere Welt den nächsten Generationen? Dabei denke ich nicht nur an Ökologie und Umwelt, sondern auch an den Fortschritt der Menschheit. Die Menschen werden immer mehr, und niemand denkt ernsthaft darüber nach, wie wir in Zukunft zusammenleben wollen. Diesen Schritt einer nicht genetischen, sondern sozialen Evolution haben wir noch vor uns.
Wenn Sie die Vergangenheit auf die Bühne holen, kommt Erschütterndes, aber auch sehr viel Positives zutage.
Peterfalvi: Es ist wichtig, die Vergangenheit hervorzuholen, damit sie nicht in irgendeiner Ecke versteckt bleibt. Es wäre schlimm, etwas zu verschweigen, weil es zu sehr weh tut, es anzusprechen. Es beginnt dann irgendwo im Körper oder in der Seele zu schimmeln. Ich spreche jetzt nicht für mich, sondern für uns alle.
Sie spannen den Bogen nicht nur bis in Ihre Kindheit, sondern ganz weit zurück bis zu den Anfängen der Menschheit. Warum?
Peterfalvi: Ich weiß gar nicht, wann ich das entschieden habe. Ich wandere viel in den Bergen, da bin ich oft eine Woche alleine mit mir, habe ein Zelt und Proviant dabei und kenne Ecken in den Alpen, wo ich es schaffe, sieben Tage lang keinen Menschen zu sehen. Dort gibt es Ecken, wo Menschen aus der Bronzezeit gelebt haben, wo man heute noch Dinge sieht von denen. Ich kann es nicht einstellen, dass ich ständig an die denke. Ich sehe, wie schwierig es für mich ist, hier unterwegs zu sein mit dem ganzen modernen Equipment. Es ist ja Luxus für mich, ich weiß, dass ich nach einer Woche wieder in der Zivilisation bin und eine Dusche nehmen kann. Wenn ich in einer Stadt bin und auf einer Brücke über einen großen Fluss gehe, stelle ich mir vor: Wie haben die es damals gemacht, ohne Brücke diesen Fluss zu überqueren? Über solche Dinge muss ich ständig nachdenken, und ich bin dankbar, dass unsere Vorfahren nicht aufgegeben haben, dass sie immer wieder sagten: Es muss weitergehen. Von denen kommen wir.
Da staunt selbst der Optimist Peterfalvi?
Peterfalvi: Nicht nur. Ich weiß auch, dass da schreckliche Dinge passiert sind, sicherlich auch zwischenmenschlich. Ich habe für das Programm einige Wissenschaftler getroffen, einer von ihnen ist Jean-Jacques Hublin, einer der größten Paläontologen der Welt. Der ist Franzose und leitet die Abteilung für Humanevolution am Max-Planck-Institut in Leipzig. Er sagt, dass man im Moment ganz tolle Dinge projizieren will auf frühere Menschen so in der Art: Homo Sapiens und Neandertaler lebten in totaler Harmonie mit Love Stories etc. Er geht davon aus, dass das kompletter Quatsch ist. Angeblich waren wir ja früher im Einklang mit der Natur, haben sie viel mehr respektiert als heute. Auch das sieht er ganz anders. Der Frühmensch hat, wenn es ihm passte, einen ganzen Wald abgefackelt. Der hatte nur noch keine Mittel, um das so effektiv zu machen wie wir heute.