Zwischen den Tönen
Hubert von Goisern bringt auch in diesem Sommer ein neues Album raus – und als Hubert Achleitner einen Roman über das Verschwinden einer Frau.
Der österreichische Liedermacher Hubert von Goisern zählt mit seiner Mischung aus Rock und traditioneller Volksmusik seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Vertretern der Neuen Volksmusik. Mit seinem Künstlernamen spielt Hubert von Goisern auf seinen Heimatort an. Den Debütroman „flüchtig“ veröffentlicht der 68-Jährige allerdings nicht als Hubert von Goisern, sondern unter seinem bürgerlichen Namen Hubert Achleitner.
Herr Achleitner, Ihr Debütroman „flüchtig“ erscheint unter Ihrem bürgerlichen, das Musikalbum „Zeiten und Zeichen“ unter ihrem Künstlernamen Hubert von Goisern. Wie soll ich Sie jetzt anreden?
Wenn wir förmlich bleiben wollen: Achleitner. Aber Hubert passt gut.
Du bist auf deinem neuen Album gewohnt politisch. Am emotionalsten trifft das Lied „Freunde“ auf seine Hörer, wo du den Operettenhit „Freunde, das Leben ist lebenswert“ aus Franz Lehárs „Giuditta“ als Refrain benutzt, der sich in seiner Lebensbejahung wie ein Messer im Leib umdrehen soll.
So ist es auch. Es ist nicht gewollt, aber es ist nicht zu vermeiden, wenn man sich der Geschichte annimmt. Ich wollte eigentlich eine lebensbejahende Coverversion von „Freunde, das Leben ist lebenswert“ machen. Durch Zufall habe ich in Bayreuth den Wagner-Tenor Andreas Schager getroffen vorigen Sommer, der en passant sagte: Lass uns doch mal was zusammen machen. Das war dann einer meiner Vorschläge der ihm auch gefallen hat. Als ich begonnen habe, daran zu arbeiten, bin ich über die Geschichte von Fritz Löhner-Beda gestolpert. Da wusste ich, es wird nicht das Lied, das ich ursprünglich vorhatte.
Löhner-Beda war der Librettist Lehárs, der im KZ erschlagen wurde, wie Du im Lied erzählst. Lehár, Günstling von Hitler, rührte keinen Finger, um ihn zu retten.
Ja. Es ist aber kein Lied gegen Lehár und dessen Inaktivität. Ich weiß nicht, wie ich damit umgegangen wäre, wenn ich wie Lehár eine jüdische Frau gehabt hätte, die mehrmals drohte abtransportiert zu werden. Lehár hat sich da einfach durchgeduckt wie viele andere auch. Ich mag da keinen Stab brechen über ihn, ich will nur auf die tollen Lieder, die Fritz Löhner-Beda geschrieben hat, aufmerksam machen. Der verdient es, aus der Versenkung geholt zu werden. Wir begehen jetzt 75 Jahre Kriegsende, und es ist einfach unfassbar, was da passiert ist, auch in den letzten Wochen, in den letzten Tagen, als Frieden schon war auf dem Papier.
Ich habe mich am Ende gefragt: Was siegt hier: der lebensbejahende Refrain oder Lehárs Verrat?
Ich hab das Lied nicht gemacht, um eine Antwort zu geben, sondern um darauf hinzuweisen, dass dieses Banale des Bösen, wie es Hannah Arendt genannt hat, einfach in uns allen ist. Die Leute, die damals gelebt haben, die haben ja dieselben Gene wie wir auch, die unterscheiden sich von uns ja durch nichts! Deshalb ist es wichtig, immer wieder an die Möglichkeit zu erinnern, dass wir wieder in so was hineinrutschen. Wir sollten immer darauf achten, wie wir sprechen und wie wir die Gesellschaft mitgestalten.
Auch dein Roman „flüchtig“ ist geprägt von Melodien, die wie im Fall des griechischen Blues, dem Rembetiko, ebenfalls politisch aufgeladen sind. Andere Melodien sind zutiefst privat und individuell wie die der norwegische Sami. Die Sami geben jedem ihrer Babys einen Joik, eine eigene Melodie mit ins Leben, die sie nie mehr vergessen. Der Roman ist geprägt von moosweichen Akkorden, Melodien, die aus der Brandung kommen, Bilder, die aus Melodien strömen, klagende, sehnsuchtsvolle und einfordernde Melodien. Ist das das große Bindeglied des Musikers Hubert von Goisern zwischen Musik und Schreiben?
Ich kann mir vorstellen, nicht mehr Musik zu machen, ich hab das auch schon Jahre lang durchgehalten, die vorletzten zwei, drei Jahre habe ich nicht musiziert, nur an Geburtstagen mal die Ziehharmonika genommen oder die Gitarre. Ich kann mir aber keine Welt ohne Musik vorstellen, denn ich bin durchtränkt von Musik, und überall, wo ich hingehe – da brauche ich gar kein Radio oder einen Stöpsel im Ohr – habe ich einen Soundtrack, überall und zu allem. Der ist natürlich auch beim Schreiben aufgetaucht. Wenn ich in ein neues Milieu eingetaucht bin mit einem*r meiner Protagonist*innen, war für mich immer auch eine Melodie da. Für Leonard Cohens „Dance me to the End of Love“ hätte ich zehn Seiten schreiben können über das, was alleine im Titel gesagt wird. Wenn man nur ein bisschen musikalisch ist und den Klang von Leonard Cohens Musik im Ohr hat, dann kommt eine Sehnsucht auf und auch eine Betroffenheit, die man mit Worten alleine nicht erreichen kann.
Verlust und Verschwinden dominieren den Roman, damit verbunden sind die Melodien, die du bringst. Die Heldin Maria lernt wie oben schon gesagt über Ioannis im nordgriechischen Thessaloniki den Rembetiko kennen, die Musik, die so viel Schmerz transportiert, und du verbindest diese Musik mit einer neuen Liebe Marias.
So ist das Leben, es gibt diese Gleichzeitigkeit. Nehmen wir einfach nur die Corona-Zeit jetzt. Es ist eine Zeit von Bedrohung und Distanzierung, gleichzeitig aber haben wir ein neues Lebensgefühl, das intensiver ist als davor. Wir sind uns der Fragilität des Lebens bewusst, wir können die Nähe neu schätzen, weil sie nichts Selbstverständliches ist. Diese Gleichzeitigkeit von Lust und Leid, von Schmerz und Freude existiert einfach. Wenn man jetzt sagt, man möchte nur glücklich sein, dann wird das nicht funktionieren. Es gibt Momente im Leben, wo man lange Zeit nur das Schlimme erfährt, nicht raus kann und das Positive nicht sehen kann. Es gibt aber auch diese anderen Zeiten, wo alles nur blüht so wie in Zeiten des Verliebtseins.
Eine Gleichzeitigkeit gibt es auch im Namen deiner Heldin. Maria heißt mit vollem Namen Eva Maria Magdalena und ist damit sowohl Urmutter der Menschheit, die Mutter Jesu sowie seine Geliebte. Drunter hast du’s nicht getan, was?
(lacht) Ich konnte mich nicht entscheiden! Nein, im Grunde ist dieser Name entstanden, als ich die Geburtsszene in der Seilbahn geschrieben habe. Da kam diese Dramatik auf, wo es um Leben und Tod geht. Ich war bei der Geburt meiner beiden Kinder dabei. Das ist so heftig! Bei einer Geburt merkt man: Das Leben kommt, es kann aber auch gehen. Man betet dann, dass es gut geht, und dann habe ich gedacht, wenn ich eine Mutter wäre, die dieses Kind zur Welt bringt, dann würde ich einfach alle Frauen beschwören, die heilig sind. Nachdem aber alle nicht gehen, habe ich mich auf drei beschränkt.
Du hast mit ihr eine unheimlich starke Frau geschrieben, von der man weiß: Sie muss irgendwann ausbrechen, nachdem so viel Traurigkeit von ihr Besitz ergriffen hat.
Wenn man in einem Milieu aufwächst wie im Salzkammergut, in einer kleinen, überschaubaren Dorfgemeinschaft, ist das Ausbrechen ganz schwierig. Da muss es richtig einen Knall geben, und du denkst nicht mehr richtig drüber nach. Man wird durch die Erwartungshaltung des Umfelds zur Anpassung gezwungen, und sie hat sich ja immer wieder angepasst. Deshalb ist es auch relativ spät, als sie den radikalen Schnitt macht.
Ich will jetzt nicht zu viel verraten, aber dass sie dann in Griechenland gleich in die stärkste Männerdomäne gerät, die man sich als christlich geprägter Mensch vorstellen kann: auf dem heiligen Berg Athos; das ist dann schon ein starkes Stück!
Ich glaube, von der stärksten Männerdomäne kommt sie her, und deshalb ist sie auch dort abgehauen, das war die Bank. Das Bankwesen ist schon eine absolut männlich dominierte Welt; abgesehen von der Politik. Zur Mönchsrepublik: Ich war ja ein paar Mal dort und hoffe, irgendwann wieder dort hinzukommen, denn ich finde es ganz bereichernd für mich, da ein paar Tage zu verbringen. Weil da aber keine Frau hindarf, dachte ich mir irgendwann: Ich bringe da eine Frau hin.